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Literatur

The Neurofeedback Book

Literatur Neurofeedback

Vorwort des Übersetzers

Das “The Neurofeedback Book” der Thompsons gilt als Lehrbuch zur Erlangung der internationalen BCIA-Zertifikats. Aber es ist noch mehr als das. Es ist ein literarisches Werk höchsten Ranges, geschrieben von einem glänzenden Theoretiker, Michael Thompson (und Lynda Thompson!), der enorme praktische Erfahrung besitzt.

Die Thompsons haben Neurofeedback immer als eine Methode verstanden, jedem Klienten zu höherer Eigenkompetenz zu verhelfen. Neurofeedback wird bei Ihnen fast immer mit Biofeedback und metakognitiven Strategien gekoppelt. Das Ziel ist es, mit dem geringsten Aufwand den größten Erfolg zu erzielen. Dabei bleiben Sie offen gegenüber Innovationen wie dem LORETA-Neurofeedback oder dem Z-Score-Neurofeedback, was in Deutschland oft nicht der Fall ist. Undogmatisch wird das im Einzelfall wirkungsvollste Verfahren angewendet. Die große Erfahrung und das gewaltige Wissen der Thompsons sind auf jeder Seite des “The Neurofeedback Book” zu spüren.

Ich veröffentliche auf meinem BLOG: psychotherapiebaehr.blogspot.de, seit Jahren Übersetzungen von Teilen des “The Neurofeedback Book”, die auf viel Interesse stoßen. Die Übersetzungen sind von den Thompsons genehmigt worden. Michael Thompson teilte mir mit, dass er die in dem hier kostenlos zum Download bereit liegenden Buch veröffentlichten Text für einen seiner bedeutendsten halte. Ich hatte bedenken, mich mit einem derartig komplexen Text auseinanderzusetzen, der großes neurophysiologisches Fachwissen verlangt, das ich, in Bezug auf neuronale Netzwerke, gar nicht hatte. Aber das machte die Übersetzung auch zu einer Herausforderung.

Das vorliegende Buch ist recht komplex. Ein Anfänger im Feld wird daran zweifeln, ob das hier vermittelte Wissen ihm nützlich sein wird: Es werden Hirnregionen, Brodmann-Areale, und deren Funktionen in unterschiedlichen neuronalen Netzwerken detailliert beschrieben. Es wird verdeutlicht, was neuronale Netzwerke sind und welche es gibt. Man erfährt, wie die frontalen Hirnregionen über Loops mit den Basalganglien verbunden sind, und wie es physiologisch möglich ist, dass das Gehirn Handlungspläne verfolgt oder verwirft, je nachdem wie es die Situation verlangt.

Thompsons macht sich die Mühe, uns das ganze Gehirn im Hinblick auf unser tägliches Training mit Klienten zu erläutern. Jedes Brodmann Areal, das das LORETA-NFB Training anvisieren kann, wird mit dem zugehörigen Ableitungspunkt des 10/20 System beschrieben. Nach der Lektüre sollte man mit vielen neurophysiologischen Begriffen vertraut sein. Es gibt unzählige Grafiken, und alle Funktionen der Hirnregionen werden uns wieder und wieder erläutert.

Man wird rasch einsehen, dass es gut wäre, wenn man das im Buch vermittelte Wissen in der täglichen Arbeit immer präsent hätte. Thompson macht es uns aber leicht, indem er das Buch so gestaltet, dass man es auch zum Nachschlagen benutzen kann. Es ist also ein Buch, das jeder Therapeut, der Neurofeedback oder Biofeedback praktiziert, besitzen sollte.

Heinz-Werner Bähr

Der Autor (von mir übersetzt)
Literatur Neurofeedback – „Meines Erachtens wird Selbstregulation einen großen Teil der Medizin des 21. Jahrhunderts bestimmen. Zwei gewichtige Gründe führen mich zu dieser Annahme: zuerst einmal sind erlernte Selbstregulationsfähigkeiten, die durch Neurofeedback und Biofeedback ermöglicht werden, die Basis um viele Störungen zu überwinden, die von der Schulmedizin oder der traditionellen Medizin nicht behandelbar sind, zweitens sind die Vorteile für das Gesundheits-System immens, daß durch den Einsatz von Techniken, die den Menschen Selbstregulation beibringen, auch kostengünstiger wird, weil das passive Warten des Menschen auf eine von außen kommende Hilfe wegfällt. Selbstregulation ist eine erlernbare Methode, die eine langanhaltende Veränderung zum Positiven bewirkt. Pharmakologische Interventionen sind im Gegensatz dazu nur wirksam, solange die Medikamente gegeben werden. Deshalb sind sie auf die Dauer sehr kostenintensiv. Selbstregulation zielt immer auf Gesundheit, sie ist nicht am negativen Bild der Krankheit orientiert.“
Michael Thompson

Laden Sie sich kostenlos die Literatur Neurofeedback runter

 

 

Das erweiterte Warnke Verfahren zur Therapie von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten und anderen Lernstörungen

 

Erläuterungen und Ergänzungen zur Therapie nach Warnke.

Kritiker, Grundlagen, Ausbildung, Befundung, Schritte in der Therapie, technische Ausstattung, eigene Erfahrung.

H.W.Baehr

Kapitel eins:

Warum eine neuartige Therapie für Kinder mit LRS oder Dyskalkulie notwendig ist!

 

Die Fähigkeit zu sprechen scheint das primäre Kennzeichen des Menschen zu sein. Die Entwicklung des Menschen ist auch eine Entwicklung seiner Sprache. Dabei wird das Sprechen nicht explizit gelernt. Das Sprechen-Lernen ist Bestandteil der natürlichen Entwicklung des Menschen, weil Sprechen lernen auch Beziehungslernen ist und weil überdauernde Gemeinschaft von Menschen ohne verbalen Informationsaustausch nicht denkbar ist. Es gibt rudimentäre Sprachen bekanntlich auch im Tierreich, aber die komplexe Sprache des Menschen, die das Entstehen seiner Kulturen und Staaten bedingte, die nicht wie bei den Staaten bildenden Ameisen oder Bienen auf instinktiver Basis stehen, ist eine spezifisch menschliche Eigenschaft. Dabei ist das Erlernen der Sprache selber ein implizites Lernen am Vorbild, ein Spiel aus Versuch und Irrtum. Das Kind, das zuvor durch angeborene Reflexmuster in den Stand erhoben wurde, sich selbstständig weiter zu entwickeln, erarbeitet sich zuerst motorische Routinen, die später höhere kognitive und koordinative Prozesse ermöglichten. Die immer wieder ähnliche Folge von Entwicklungsschritten zeigt schon, dass ein genetisches Programm die Reihenfolge der Entwicklung zum „frei“ handelnden und planenden Menschen steuert. Etwa zum gleichen Zeitpunkt an dem dem Kind das freie aufrechte Bewegen im Raum möglich wird, beginnt für dieses auch das Erschließen der Sprachwelt, die die spezifisch menschliche Kommunikationswelt ist und in deren Raum sich das Kind bald ebenso sicher bewegt wie in seiner Umgebung. Dabei ist die Entwicklung gekennzeichnet durch bestimmte Episoden, oder Zeit Fenster, in denen das Erlernen spezieller Fähigkeiten leichter möglich ist, als zu anderen Zeiten. Dazu gehört das Erlernen der Sprache. Das zweijährige Kind ist in der Lage, eine beliebige Sprache, die in seinem Umfeld gesprochen wird, zu erlernen. Aus der gewaltigen Fülle der möglichen Frequenzen werden diejenigen als Engramme im Gehirn gespeichert, die das Kind regelmäßig zu hören bekommt. So kommt es zu einem mehr oder weniger vollkommenen Abbild des umgebenden Sprachraums, das in neuronalen Strukturen, auf die das Kind Zeit seines Lebens zurückgreifen kann, manifestiert ist. Schon früh ist der Großteil der umgebenden Lautwelt internalisiert und wird durch Imitation automatisiert, bis aus dem Wort Taktor der Traktor und aus dem vernuschelten Wussbrot das Wurstbrot geworden ist. Das Anwachsen der sprachlichen Fähigkeiten des Kindes wird begleitet von einem Anwachsen des sozialen Kontakts, der wiederum Verhaltensmodifikationen bewirkt und durch Konfrontation eine Internalisierung bestimmter Lebensregeln verursacht, die dem allgemeinen kulturellen Umfeld, aber auch dem spezielleren des bestimmten familiären Milieus entsprechen, in dem sich das Kind wieder findet. Alle früh eingeprägten Muster sind in der Regel auch im Erwachsenen Leben noch gut nachweisbar und es kostet unendlich viel Mühe, automatisierte Strukturen zu überwinden, die ja den Stängel bilden, auf dem sich die Blüte des „freien“, erwachsenen Menschseins später entfaltet.

Das Sprechen wird ähnlich automatisiert wie die übrigen koordinierten Abläufe. Automatisierung von zugrunde liegenden Fähigkeiten ist immer die Grundlage für die Möglichkeit und Kompetenz weitere Entwicklungsschritte zu machen, die ihrerseits automatisiert werden, bis die Grundlagen gelegt sind, Neues zu Erlernen.

 

Erst wenn die Motorik völlig automatisiert ist, bewegt sich das Kind sicher im Raum, erst wenn die Sprache automatisiert ist, sind dem Kind komplexere soziale Handlungen möglich. Man kann die kindliche Entwicklung also recht gut als ein Emporsteigen über verschiedene Ebenen gelegter Automatisierungen beschreiben, die sich als neuronale Routinen im Gehirn manifestieren. Die Freiheit des erwachsenen Menschen, mit Genuss zu lesen, oder mit Leichtigkeit zu schreiben, ja, seine Fähigkeit, eigene Wünsche zu erkennen und realistische Lebenspläne zu erstellen, verlangen nach einer gut gelegten Basis an automatisierten Grundlagen. Das Sitzen, das Stehen, das Ziel gerichtete Greifen, unendlich viele Funktionen, die dem Erwachsenen wie selbstverständlich erscheinen, wurden einst vom Kind, das er war, eingeübt und automatisiert. Eine Gehirnerkrankung, die zu neuronalen Ausfällen führt, und damit Automatisierungen löscht, bringt augenblicklich wieder zum Bewusstsein, dass es keine selbstverständliche Freiheit gibt, über ein gut abgestimmtes Kompositum an Fähigkeiten zu verfügen.

 

Wenn man sich die Unzahl der automatisierten Voraussetzungen zu Bewusstsein bringt, die erforderlich sind, um hochkomplexe Tätigkeiten wie das Lesen und Schreiben auszuüben, ist es nicht mehr so sehr verwunderlich, dass etwa 15% der Kinder eines Jahrgangs durch große Probleme beim Erlernen des Schreibens, Lesens oder Rechnens auffallen. Fast immer findet man bei Kindern, die in der Schule Schwierigkeiten haben, Probleme im motorischen oder im sprachlichen Bereich, seien es Dyspraxien, Haltungsprobleme, Balancierprobleme oder Sprachstörungen. Solche Entwicklungsprobleme werden in der Regel vom dafür ausgebildeten Ergotherapeuten oder vom Logopäden angegangen und durch ein geeignetes Therapieprogramm überwunden. Dabei geht man in der Ätiologie der beobachteten Probleme weit zurück in die frühesten Anfänge der kindlichen Entwicklung. Mit einem geeigneten Trainingsprogramm werden basale Strukturen im neuronalen Netz reaktiviert oder neu aufgebaut. Dabei ist die These der Plastizität, also der Lernfähigkeit des Gehirns, die in der jüngeren Gehirnforschung als unbestreitbar dargelegt wird, immer schon vorausgesetzt. Der Praktiker weiß, dass selbst bei schwer gestörten Kindern und Erwachsenen Therapieerfolge durch Training basaler Funktionen möglich sind.

Das Feld von Störungsbildern, das die Ergotherapeuten und Logopäden im Auge haben, ist allerdings sehr groß: der alte, der kranke, der verunfallte Mensch, sie alle werden durch diese Therapeuten betreut.

LRS Kinder und Kinder mit Dyskalkulien gehören NEBENBEI zum Kreis der ergotherapeutischen oder logopädischen Klienten, sind doch deren Probleme selten auf die reinen Schulprobleme einzugrenzen: unruhiges Sitzen, falsche Stifthaltung, auffallende Motorik, Sprachstörungen bis hin zu Dyslalien sind in der Regel begleitende Faktoren, die eine medizinische Therapie durchaus sinnvoll erscheinen lassen. Auf der anderen Seite sind die betroffenen Kinder selbstverständlich eingebunden in das gesellschaftliche Ausbildungssystem Schule, das von allen Kindern unmittelbar Fortschritte auf den „Leistungsebenen“, dem Lesen und Schreiben, verlangt. Betroffene Kinder sitzen mit oftmals dreißig anderen Kindern in Klassen, in denen eine überforderte Lehrkraft sich bemüht, den unterschiedliche Leistungsmöglichkeiten aller Kinder und den standardisierten Leistungsanforderungen des Lehrplans gerecht zu werden. Bestimmte Kinder, die dem Leistungsstand der Klasse partout nicht entsprechen können, gelangen in eine separate Schulförderung, in  der in der Regel Rechtschreibregeln gelehrt werden. Im Turnunterricht versucht man durch die Integration psychomotorischer Übungen Entwicklungsschübe zu geben.

Der LRS Erlass erlaubt es dem Lehrer, das lese-rechtschreibschwache Kind aus der Bewertung der Rechtschreibleistungen herauszunehmen.

Kinder, die trotz schulischer und außerschulischer Förderung nicht genügend Fortschritte machen, verlassen die Regelschule und werden in Sonderschulen von speziell ausgebildeten Pädagogen betreut, die im Idealfall eine günstige Entwicklung einleiten. Viele Kinder aber sind, aus auf den ersten Blick unerfindlichen Gründen, nicht in der Lage, den Leistungsanforderungen des Schulsystems zu entsprechen, trotz offensichtlich normaler Intelligenz und trotz anfänglich großer Bemühungen.

Die eingeleitete außerschulische Förderung wird teilweise von diversen Nachhilfeinstituten vorgenommen, die miteinander um diesen Markt konkurrieren, teilweise von speziellen pädagogischen oder psychotherapeutischen Einrichtungen, auf der anderen Seite aber, wie bereits erwähnt, von Logopäden oder Ergotherapeuten.

 

Eine speziell auf  LRS und Dyskalkulie ausgerichtete medizinische Therapie, die wie ergotherapeutische oder logopädische Therapien die beobachteten Lernprobleme mancher Kinder physiologisch erklärt und die ein spezielles Trainingsprogramm entwickelt, um die Ursachen dieser Störungen zu behandeln, ist sicher eine Notwendigkeit, war aber bis jetzt in Deutschland nicht bekannt.

Mit der Warnke Therapie, die von speziell ausgebildeten Therapeuten durchgeführt wird, ist ein solches Instrument, das sich speziell den Problemen von Kindern mit Lernstörungen widmet, entstanden

 

 

2 Kapitel:

Lese – Rechtschreibschwäche, deren konventionelle Befunderhebung und die konventionelle Therapie

 

„Lese-Rechtschreibschwäche bezeichnet Störungen, deren Hauptmerkmal eine ausgeprägte Beeinträchtigung der Entwicklung der Lese- und Rechtschreibfähigkeit ist, die nicht durch eine allgemeine intellektuelle Behinderung oder durch inadäquate schulische Betreuung erklärt werden kann.“

(Prof. Andreas Warnke „Legasthenie und Hirnfunktion, Hans Huber Verlag Bern, 1990)) lautet die offizielle Definition für Lese-Rechtschreibschwäche. Diese Definition zeigt schon, dass man zur Beschreibung der Störungsbildes nur auf Teilbereiche der Symptomatik schaut.

Dementsprechend wird die LRS in der Regel durch einen genormten Rechtschreibtest ermittelt, zum Beispiel die diversen DRT, in denen vom Kind einzelne Wörter geschrieben werden müssen, die anschließend vom Therapeuten anhand einer Schablone ausgewertet werden. Die Tests ermöglichen eine Befund der Fehlerarten und weisen den Leistungen des Kindes eine Prozentrangstufe zu, die den Therapiebedarf benennt.

Zweites Testinstrument ist in der Regel ein Lesetest, z.B. der Zürcher Lesetest, der eine Einschätzung der Leseleistung im Vergleich zu einer Normgruppe ermöglicht.

Beliebt ist auch die Durchführung eines Intelligenztests wie z.B. den Hamburger Wechsler Intelligenz Test (Hawik) oder die Kaufmann Assessment  Battery for children (die so genannte K-ABC), die in der Regel aus einzelnen Untertests bestehen wie:

 

  • Skala einzelheitlichen Denkens

 

1: Handbewegungen

2: Zahlennachsprechen

3: Wortreihe

 

  • Skala ganzheitliche Denkens

 

1: Zauberfenster

2: Wiedererkennung von Gesichtern

3: Gestalterschließen

4: Dreiecke

5: Bildhaftes Ergänzen

6: Räumliches Gedächtnis

7: Fotoserie

 

  • Fertigkeiten Skala

 

1: Wortschatz

2: Gesichter und Orte

3: Rechnen

4: Rätsel

Nach einem Neurofeedback-Training sind die im Intelligenztest ereichten Ergebnisse der Kinder nachgewiesenermaßen deutlich verbessert.

5: Lesen-Buchstabieren

6: Lesen-Verstehen

 

Dabei werden bei ähnlich wie beim erweiterten Prüfablauf nach Warnke/Scholz u.a. auch das auditorische und visuelle Kurzzeitgedächtnis, die visuell-motorische Koordination und das Langzeitgedächtnis geprüft.

Als geeignete Förderung gilt „der Unterrichtsinhalt schlechthin z.B.  Lesen und Mathematik.“ (Erläuterungen zur K-ABC) Die Möglichkeit einer direkten Beeinflussung von z.B. der Merkfähigkeit wird verneint! Andererseits gelten Förderungen des Sehens- Hörens und der Motorik als durchaus geeignete Maßnahmen  zum Verbessern schlechter Ergebnisse bei Teilbereichen.

 

Die Ergebnisse der Intelligenztests sollen den sonderpädagogischen Förderungsbedarf bestimmen, werden in der Praxis von den Schulleitungen aber oft als unveränderliches Merkmal eines Kindes gesehen, dass weiteren Förderbedarf im Regelschulsystem erübrigt. Die wenigsten Pädagogen wissen um den vorläufigen Charakter der Ergebnisse von Intelligentests, die zum großen Teil von trainierbaren Defiziten verursacht werden, die keine endgültige Aussage über einen scheinbaren Fix Wert, wie die Intelligenz eines Menschen, ermöglichen.

Wird kein Sonderpädagogischer Förderungsbedarf festgestellt, wird das Kind in den privaten pädagogischen Therapieeinrichtungen gefördert. Auch die Therapie der Rechtschreibprobleme richtet sich in vielen Instituten nach der Art der gemachten Fehler. Trainiert wird die Rechtschreibung und das Lesen, nicht aber zugrunde liegende Fertigkeiten, die zum Erwerb der Lese- und Rechtschreibfertigkeiten notwendig sind. Oftmals werden auditive und visuelle Trainings integriert.

 

Zur Sinnhaftigkeit eines rein Symptom bezogenen Vorgehens zur Therapie von Lese-Rechtschreibproblemen schreiben (Stein/Talcott/Witton: in „The sensomotoric basis developmental dyslexia“):

 

“In fact we found that even after accounting for age and IQ, subject’s sensitivity to visual motion and to auditory frequency and amplitude modulation together account for a significant proportion of the variance in reading skills. In other words the quality of teaching a child receives, or the amount of access to books or other social and cultural influences may play a less significant part in their reading development than used to be thought. Instead individual differences in the brains ability to carry out her basic physiological processes may be crucial. This does not mean that teaching is not important – only that their influence depends greatly on a child’s basic perceptual capacities.”

Mit  anderen Worten: eventuell ist ein  Lese- und Rechtschreibtraining nicht ausreichend zur Therapie der beschriebenen Probleme, weil es die Ursachen der Störung nicht beseitigt.

Das führt zu der Frage, was denn Ursachen für Lese-Rechtschreibprobleme und Probleme beim Rechnen sein könnten. Hierzu gibt es eine unendliche Menge von wissenschaftlichen Studien, die sich teilweise widersprechen, die aber letztendlich eine eindeutige Tendenz haben und eine recht gute Ätiologie der Lernstörungen ermöglichen. Waldemar von Suchodoletz und die von ihm zusammengeführten Autoren, bleiben im Ratgeber LRS allen an den Ursachen orientierten Therapieansätzen gegenüber skeptisch. Dazu zählen die Autoren das NLP, die Edu-Kinesthetik, das Ordnungsschwellentraining, das Hochtontraining, das Training nach Tomatis, das Low-Level Training, das Lateral-Training, das Blicksteuerungstraining, die Psychomotorik usw. Im Ratgeber LRS werden solche Therapien alternative Behandlungsmethoden genannt, im Gegensatz zu lerntheoretisch begründeten Verfahren. Inwieweit die Skepsis der Autoren begründet ist wird im weiteren Verlauf zu diskutieren sein.

Die Skepsis mancher Autoren mag dem Begriff Ursache gelten, der im medizinischen Bereich eine wesentlich präzisere Definition als im psychotherapeutischen Bereich ermöglicht. Die Herleitung eines physiologischen Krankheitsbildes aus bestimmten Ursachen ist in vielen Fällen möglich, während die psychotherapeutische Befund mit wesentlich größeren Ungenauigkeiten und Unwägbarkeiten behaftet ist, da die zu beobachtende Symptomatik durch mancherlei zusammenkommende Ereignisse verursacht sein kann. Wenn wir die Ursachen von Lernstörungen (LRS, Dyskalkulie, Rechenschwäche) bestimmen wollen, haben wir es mit einer großen Vielfalt von Einflussgrößen auf das Kind zu tun, die alle einen gewissen Anteil an der Ausformung des Störungsbildes haben können. Das Kind ist eingebunden in ein bestimmtes familiäres und soziales Umfeld, es hat eine ganz eigene Geschichte, in der es Entwicklung verzögernde Ereignisse gegeben haben mag: Umzüge vor Schulbeginn, der Verlust von Freunden, Eltern, Großeltern. Eine Unzahl von seelischen Einflussgrößen kann am Entstehen der Schulprobleme mitgewirkt haben, die in der Anamnese zum Testablauf nach Warnke selbstverständlich ermittelt werden – und es sollte erwähnt werden, dass im Rahmen der Ausbildung zum „Zertifizierten Lerntrainer nach Warnke“ pädagogische Fragestellungen selbstverständlich ihren angemessenen Platz haben.

Trotzdem zeigen sich in einer gezielten Befundung nach dem „Erweiterten Prüfablauf“, EPA, (Warnke/Scholz, MediTECH 2003), immer wiederkehrende Auffälligkeiten des Hörens, des Sehens und der Motorik, die fast allen Kindern, die große Schwierigkeiten haben, das Lesen, Schreiben oder Rechnen zu lernen, gemeinsam sind. Diese Beobachtungen ziehen sich aber auch durch alle neueren Forschungsergebnisse über das Phänomen der Dyskalkulie und LRS.

Der deutsche Begriff Ursache impliziert einen notwendigen kausalen Zusammenhang zwischen zwei Erscheinungen, die einander zeitlich folgen. Bei der Beurteilung der Ursachen von Lese-Rechtschreibstörungen ist eines der Probleme sicher, dass man nicht zwangsläufig sagen kann, diese bestimmten Ausgangsbedingungen haben diese bestimmte Folge. Es ist nicht undenkbar, dass ein Kind Lese-Rechtschreibprobleme hat, das keine auditiven Defizite aufweist. Wir haben es eher mit Beobachtungen zu tun, die einen begründeten Verdacht aufwerfen, dass die Phänomene Dyskalkulie und LRS nicht isoliert auftreten sondern in Begleitung anderer spezifischer Phänomene.

Auch legen bestimmte Gehirnerkrankungen, die ähnliche Probleme in der Sprachverarbeitung des Patienten nach sich ziehen, die auch bei von Lernstörungen beeinträchtigten Kindern beobachtet werden, nahe, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen bestimmten Störungen der Gehirnfunktion und dem Entstehen der Lernstörungen gibt, die also ebenso therapierbar sein sollten wie andere neurologische Erkrankungen auch.

Im Übrigen gilt:

„Das Verstehen der Ursachen von LRS würde es ermöglichen, Schwierigkeiten des Kindes sein Potential zu entfalten, früh zu entdecken und zu therapieren.“ (LRS in Children, Fawcett 1994)

Es spricht tatsächlich sehr wenig gegen die Etablierung eines Trainings- und Therapieprogramms, das versucht, die Ursachen der Lernstörungen zu beseitigen. Das gilt insbesondere deswegen, weil die herkömmlichen Methoden des lerntherapeutisch begründeten Verfahrens, auch nach den Aussagen von deren größten Befürwortern,  äußerst langwierig und wenig erfolgreich sind.

 

Im Ratgeber LRS, dessen Herausgeber Waldemar von Suchodoletz ist, wird in sehr inhaltsarmen Formulierungen aufgezählt, welche lerntheoretisch begründeten Interventionen seiner Meinung nach Erfolge versprechen.

 

–  stufenweiser Aufbau der Lernschritte

–  schrittweises Vorgehen – Entdecken, Aneignen

–  Verbalisieren, Verinnerlichen, Automatisieren.

–  Unterstützung der Selbstregulation und Anleitung zu planvollem Handeln

–  Gliederung, Akzentsetzung und Sinnverbindung des Lernstoffs

–  Förderung intrinsischer Lernmotivation

–  aktives Üben, systematisches Wiederholen, massierte Übungen

–  Lernen durch Nachahmung

–  Unterstützung einer positiven Haltung zur Lernsituation und zu den   eigenen Fähigkeiten

–  unmittelbare Rückmeldungen über den Erfolg.

(Schulte-Körne 2001)

 

Die schließlich empfohlenen Therapien (z.B. Trainingsprogramme von Kossow, Scheerer Neumann, Mannhaupt) werden sehr abstrakt beschrieben. Konkretes Handeln in der Therapie wird nicht deutlich. Zur Therapie nach Mannhaupt heißt es: „Ziel der Intervention ist…die Kinder bewusst erfahren zu lassen, dass sie, um die Struktur eines geschriebenen Wortes zu entdecken, zu großen Teilen auf die Sprechweise dieses Wortes zurückgreifen können. …die Frage ist dann, ob die Kinder nach Aneignung dieser primären Abstraktion der Schrift in der Lage sind, dies in anderen Bereichen der Schriftspracherfahrungen einzusetzen und …einen Anschluss an den Unterricht ihrer Klassen zu erreichen.“ Und weiter: „Gegenstand der Intervention ist die Kontrollhandlung als solche. Erst wenn es zur Verinnerlichung der Handlungen kommt, tritt die Bewältigung der gegenständlichen Aufgabe in den Vordergrund…“???

Es bleibt als Empfehlung oft ein Regeltraining wie das Marburger Rechtschreibtraining von Schulte-Körner übrig.

Dass ein Regeltraining sinnlos ist, beweisen aber doch die  Förderbemühungen der Schulen, in denen die betreffenden Kinder unablässig Regeln trainieren, OHNE dass große Fortschritte erzielt werden.

Manfred Spitzer betont, dass das Gehirn als neuronales Netzwerk eine Regelextraktionsmaschine ist, die aus der eigenen Funktion heraus Regelmäßigkeiten erkennt und sich an diesen orientiert. (Lernen, Gehirnforschung und die Schule des Lebens, Spitzer 2007). Das Erkennen von Regelmäßigkeiten funktioniert aber nur, wenn tatsächlich ungebrochene Regelmäßigkeit da ist. Da die deutsche Schriftsprache aber sehr viele Ausnahmen von Regeln kennt, ist gar KEINE Regelmäßigkeit vorhanden, denn eine nicht vollständige Regelmäßigkeit bedeutet für das Gehirn KEINE Regelmäßigkeit. Die Folge des Regeltrainings sind Kinder, die ebenso verwirrt sind wie die Lehrkraft, die dem Kind immer wieder Ausnahmen zur vermittelten Regel erläutert.

 

Da die von Professor von Suchodoletz und seinen Autoren empfohlenen Therapien, wie die Autoren zugeben, äußerst langwierig und wenig erfolgreich sind, ist das Aufgreifen  der Ergebnisse der weltweiten Forschung über die Ursachen der Lernstörungen sicher in jedem Falle eine äußerst wertvolle und nützliche Sache und eine Therapie, die sich an den gewonnene Erkenntnisse orientiert, ist, selbst wenn sie noch unvollständig wäre, sicher um vieles sinnvoller als ein Beharren auf einem unbefriedigenden Status Quo.

Dazu Critchley (1979): „The lack of explanation leads some to deny the existence of the condition itself“.

Damit gilt: auch wenn der deutsche Begriff Ursache den entdeckten Phänomenen, die eine LRS in der Regel begleiten, eventuell nicht gerecht wird, ist Fred Warnke doch auf dem Stand des modernen Wissens, wenn er zwölf vermeintliche Ursachen der LRS angibt.

1:         Winkelfehlsichtigkeit  Dr. Pestalozzi, CH

2:         Unscharfes Sakkaden  Prof. Breitmeyer USA

3:         Blicktüchtigkeit, Prof. Fischer, Freiburg

4:         Synchrones Finger Tapping , Prof Wolff USA

5:         Balancier Probleme, Dr. Fawcett, GB

6:         Motorische Reaktionszeit, Prof. Nicholson GB

7:         Phonematische Diskrimination, Prof. Talall, USA

8:         Ordnungsschwelle, Prof. Kegel, München

9:         Auditive Mustererkennung, Prof. Musiek, USA

10:       Zugriff auf Wortschatz, Prof. Shaywitz, USA

11:       Kurzzeit Merkfähigkeit, Prof, Mottier, CH

12:       Tonhöhendiskriminierung, Prof. Holopainen, SF

 

Warnke kommt zu dem Schluss, dass ein allgemeines Automatisierungsdefizit diesen Problemen zu Grunde liegt, das durch ein gut ausgearbeitetes Training aufgearbeitet werden kann.

Die Befundung besteht aus einem standardisierten Testablauf, dem EPA, in dem bestimmte Funktionen des Sehens, des Hörens und der Motorik begutachtet werden.

Die Therapie richtet sich nach dem festgestellten Störungsbild.

 

 

3 Kapitel:

Warnkes Automatisierungsmodell und unsere Erfahrungen damit

 

Automatisierung bedeutet, dass komplexe Prozesse der Informationsverarbeitung unbewusst gesteuert und Teilbereiche auf untergeordnete Ebenen verlagert werden, wodurch Kapazitäten frei werden. Wie eingangs erwähnt, ist Automatisierung die Grundlage für alle höheren Prozesse.

 

Zur These der fehlenden Automatisierung schreiben Roderich und Nicholson in Dyslexia, Theory and Good Practise

„We therefore formulated and tested the automatization deficit hypothesis – that dyslexic children have problems becoming automatic at any skill, irrespective of whether it is unrelated to language…Rather to our surprise, and precisely as predict by the hypothesis we did establish that the dyslectic children whom we tested showed problems in balance, especially if they where prevented from concentration on balancing by having to do another task at he same time. We considered it particularly interesting that phonological skills are BUILT UP over several years. We then published the results, arguing that automatization deficit could provide a broader framework for dyslexian research, integrating the phonological deficits within mainstream theories of learning.”

“As first pointed out by Mildes (1979, 1993) developmental dyslexics is not just a language or literacy problem. Most dyslexic children have other difficulties in addition to unstable vision leading to orthography weakness and difficulties with sequencing sounds leading to phonological problems. They tend to have problems with focusing visual and auditory attention. They tend to have poor sequencing in general so that they find it difficult to recite the days of the week or the month of the year in the right order, particularly backwards. Moreover they tend to be uncoordinated and clumsy. Many showed mixed handedness and left/right confusions, indicating incomplete establishment of cerebral domination.” (ebenda)

“LRS Kinder haben Schwächen in der Aufmerksamkeits- und Aktivitätsregulation, Schwierigkeiten beim Balancieren mit geschlossenen Augen“ (Priebs, Warnke)

Automatisierungsdefizite verlangen die Hinwendung eines Teils der Aufmerksamkeit auf untergeordnete Prozesse. Dieser Teil der Aufmerksamkeit fehlt dann bei der Bewältigung einer anderen, komplexeren Aufgabe.

 

In unserer 5-jährigen Tätigkeit als Therapeuten, die ausschließlich nach Warnke therapieren und diagnostizieren, stellten wir fest, dass kein einziges Kind (von mehr als zweihundert) nicht an einem diagnostizierbaren Automatisierungsdefizit gelitten hätte. Die Therapie der beobachteten Defizite, die im weiteren Verlauf noch eingehender beschrieben werden, und der Erfolg unserer Therapie waren hingegen anfänglich nicht sehr eindrucksvoll. Eine zu breit gestreute Methodik, die sich nicht eng an der Befundung orientierte, zeigte wenig Wirkung. Eines der Probleme bei den Studien z.B. (Berwanger, 2002) die zu negativen Ergebnissen kamen, was den Erfolg eines Low-Level-Trainings angeht, war sicherlich, dass in den Studien nur winzigste Teilbereiche getestet wurden, weil das Verfahren erheblich komplexer ist, als es  manchmal vermittelt wird. Die naive Verfahrensweise, die Berwanger für ihre Studie 2002 wählte, lässt, wenn man nicht annimmt, dass das Ergebnis gewollt war, befürchten, dass Frau Berwanger, der MediTECH Werbung folgend, die Beschränkung auf marginale Teilbereiche einer hochkomplexen Therapie in ihrer isolierten Wirkung auf die Probleme lese-rechtschreibschwacher Kinder zu testen versuchte, was zu einem negativen Ergebnis führen musste. Ein reines Brain Boy Training, wie es von Professor Tewes in einer Studie (2003) als tauglich zum Training der Low-Level Funktionen erkannt wurde, und dem er auch einen Transfer auf die Leistungsebene, also eine Verbesserung der Rechtschreibleistungen, attestierte, führte in unserer Praxis eventuell deshalb nicht sofort zu dem beschriebenen Erfolg, weil wir uns nicht genau an Warnkes Empfehlung hielten alle acht Low-Level Funktionen zu trainieren. Während Warnke und die Firma MediTECH das Verfahren immer weiter ausbauten und präzisierten, variierten wir in der NIB Troisdorf die vielen Möglichkeiten, die die Therapie bietet, in einem beständigen Prozess von Versuch und Irrtum, bis zufrieden stellende Ergebnisse der Therapie die Regel waren. Im Zuge des Zuwachses an Erfahrung und Wissen näherten wir uns wieder den Vorstellungen und Überlegungen Fred Warnkes an, die wir zuvor nicht völlig durchdrungen hatten, weil das vermittelte Verfahren eben doch nicht so einfach in der Anwendung ist, wie es die Workshops nahe legten. Insofern war die Schaffung einer speziellen Ausbildung zum „Zertifizierte Lerntrainer nach Warnke“ eine Notwendigkeit, die aber eventuell noch nicht ausreicht, einen angemessenen Transfer von Wissen zu gewährleisten, der meines Erachtens notwendig ist, um die Therapie wirklich sinnvoll ausführen zu können. Gerade durch den „Erweiterten Prüfablauf“, der ein sehr gutes Befundungsinstrument ist, kann beobachtet werden, dass viele einander ähnliche Störungsbilder existieren, die nur von sehr vielseitig ausgebildeten Therapeuten in ein überschaubares Feld möglicher Entwicklungsdefizite eingeordnet werden können. Nur wenn man eine präzise Befundung vorgenommen hat und die Entwicklungsdefizite gezielt angeht, sind gute Erfolge der Therapie zu verzeichnen. Dann wird allerdings schnell deutlich, dass  der gewählte Blickwinkel richtig und notwendig und dass nur auf diesem Wege den vielschichtigen Problemen der betroffenen Kindern beizukommen ist. Eine Studie, die das Verfahren in seiner ganzen Komplexität, einschließlich Neurofeedback und HEG Feedback testet, wird zweifellos zu einem überwältigend guten Ergebnis kommen.

 

Für mich war es ein langwieriger Prozess, von der gewohnten lerntheoretischen Arbeitsweise ins quasi medizinische  Fach zu wechseln. Bei der Warnke Therapie handelt es sich im Grunde um ein medizinisches Therapieverfahren, das bestimmten ergotherapeutischen Therapien ähnelt. Auch der Erweiterte Prüfablauf Warnkes (EPA), das spezifische Befundungsinstrument des Warnke Therapeuten, ähnelt den gezielten Beobachtungen nach Ayres. Eben deswegen befürchten wir, dass ergotherapeutische Praxen den Möglichkeiten des Verfahrens nicht gerecht werden könnten, weil die Elemente des Verfahrens, die einander ergänzen, von diesen nur als eine Therapiemöglichkeit unter vielen anderen gesehen werden, und dass sie deswegen nur teilweise eingesetzt werden, und wir vermuten weiterhin, dass es in logopädischen Praxen ebenso geht, weil das Warnke Verfahren mit bestimmten anderen, den Logopäden vertrauten Therapien, in einen Topf geworfen wird. Von der Pädagogik kommende Therapeuten werden das Verfahren eventuell nicht völlig akzeptieren, weil es Ihnen zu medizinisch vorkommt und man wird, wie wir es in unserer Praxis anfänglich hielten, immer neue Teilbereiche eines medizinischen Verfahrens in bestehende pädagogische Therapiekonzepte einflechten, was den Erfolg der Therapien immer beeinträchtigt.

Die umstrittene Befund nach Warnke lautet: ZENTRALE AUTOMATISIERUNGSSTÖRUNGEN. Dieser Befund ist in der Fachwelt noch wenig bekannt. Ein Konkurrent der Firma MediTECH verstieg sich in einem Rundbrief an HNO Ärzte zu der Behauptung, es handele sich bei diesem Befund um eine Art Betrug.

Tatsächlich bedeutet die zugrunde liegende Haltung, die der Begriff der zentralen Automatisierungsstörung beinhaltet, den entscheidenden Unterschied zu allen konventionellen Therapien. Wenn das Symptombild der lerngestörte Kindes einzig das Sichtbarwerden eines Automatisierungsdefizites ist, das durch ein geeignetes Training aufgeholt werden kann, dann sind alle Prognosen und Diagnostiken die in der gewöhnlichen „Karriere“ des lerngestörten Kindes zuhauf anfallen, Vorläufigkeiten.

Tatsächlich ist der Hauptschwachpunkt aller „konventionellen“ Diagnostik der erkennbare Mangel an Therapievorschlägen. Die Eltern werden überhäuft mit Diagnosen. AVWS, LRS, Dyskalkulie, Entwicklungsverzögerung usw. Wenn es dann aber an die Frage geht, was man tun kann, kommt oftmals der Verweis auf eine spezielle Schulform für das Kind. Aber selbst die Intelligenzdiagnostik, die so wichtigtuerisch daherkommt beschreibt oftmals, selbst wenn man von inadäquatem Verhalten der Tester in oft wenig kindgerechte Testsituationen absieht, nur Vorläufigkeiten. In vielen Studien wurden Verbesserungen in IQ Werten nach geeigneten Trainings beschrieben. Tatsächlich dürfte sich da aber nicht die Intelligenz des Kindes sondern die Informationsverarbeitung des Kindes verändert haben. Man kann guten Gewissens sagen, dass Kindern mit hartnäckigen Lernproblemen mit einem ausgefuchsten Instrumentarium zu Leibe gerückt wird, um eine Kategorisierung des Problems zu erreichen, das eine Klassifizierung des Kindes ermöglicht, nicht aber eine Diagnose zum Zwecke der Therapie. Geeignete Therapien sind den Diagnostikern so gut wie gar nicht bekannt. Aus diesem Grunde fühlen sich betroffene Eltern ausgeliefert und hilflos.

Wie anders klingt da die Diagnose „Automatisierungsdefizit“. Der Grundgedanke dazu ist ein ganz einfacher. Alle Fähigkeiten des „normalen“ Erwachsenen ruhen auf automatisierten Grundfähigkeiten, die er im Laufe seiner Entwicklung erworben hat. Fehlen Bausteine dieses Gerüstes, so ist eine Kompensation nur zu einem gewissen Grade möglich. Jede Kompensation erfordert Aufmerksamkeit, die dann für neues nicht mehr vorhanden ist. Das verlangsamt und lässt unkonzentriert erscheinen.

Das Baby und Kleinkind, das wir waren, entwickelte in seinen Tast- und Greifversuchen, in seinem Umherblicken und Umherhören, in seinem Krabbeln und Brabbeln Grundfertigkeiten, über die der Erwachsene sicher verfügt. Auf Grund des automatisierten Beherrschens des Greifens, des Hörens, des Sehens, des Stehens oder Sitzens, ist es dem Erwachsenen erst möglich, in Ruhe höherrangige Tätigkeiten zu erlernen. Wenn in seiner Entwicklung auf Grund bestimmter, bekannter Hemmnisse, z.B Mittelohrentzündungen, persistierenden Reflexen o.ä. bestimmte Automatisierungen nicht vollzogen wurden, sind für diesen Erwachsenen die höheren, komplexeren Tätigkeiten erschwert.

Der Begriff „zentrale Automatisierungsstörungen“ erfasst also recht gut alle Störungsbilder von Kindern und Erwachsenen mit Lernstörungen und leitet den Warnke Therapeuten zur Suche nach der ausgelassenen Automatisierung. Die moderne Gehirnforschung geht ja lange schon von der Plastizität des Gehirns aus: Durch Training werden Nervenverbindungen schneller. Das Gehirn verschaltet sich auch unentwegt neu. Das heißt, Störungsbilder sind einzig die sichtbar gewordenen Zeichen für ausgelassene Automatisierungen, also immer nur Vorläufigkeiten.

Gerade in der Offenheit die der Begriff impliziert  liegt seine Stärke. In der demokratischen Tiefe dieses Begriffs liegt bereits die Negierung jeder Stigmatisierung von Klienten. – Bei normalen Schulschwierigkeiten, die gewöhnlich zu Sonderschulverfahren führen, haben wir mit den Methoden des Warnke Verfahrens fast immer eine Angleichung der Leistungsfähigkeit des Kindes an den Klassendurchschnitt erreichen können.

Der Begriff „zentrale Automatisierungsstörung“ beinhaltet aber auch bereits den Geist des Warnke Verfahrens, der wenn es hartnäckige Automatisierungsdefizite gebe sollte, die nicht therapierbar sind, den Fehler in einem vorläufigen Mangel der eigenen Mittel sieht, der noch ausgeglichen werden muss, indem geforscht wird. Auch ist in dem Begriff der „Automatisierungsstörung“ das Undogmatische zu spüren, dass es allen Beteiligten des Warnke Verfahrens ermöglicht, neugierig über den Tellerrand der eigenen „Erkenntnisse“ zu gucken und neue oder auch altbekannte Therapiemöglichkeiten zu integrieren, wenn diese dem Klienten helfen, das Automatisierungsdefizit auszugleichen.

Ein solcher Begriff konnte nur geprägt werden von einem zutiefst menschenfreundlichen, demokratischen Geist, den man bei Fred Warnke und bei allen nach Warnke arbeitenden Therapeuten voraussetzen darf.

Fazit:

Ein ernsthaftes therapeutisches Vorgehen nach dem Erweiterten- Warnke-Verfahren bietet sehr viele Möglichkeiten, die beobachteten Auffälligkeiten von Kindern mit Lernstörungen effektiv zu therapieren. Dabei ist die Therapie gut begründet. Die Begründungen für die einzelnen Teilelemente werden im folgenden Kapitel diskutiert werden.

Hören

Während die Thesen von Fred Warnke am Besten in seinen eigenen Büchern: Der Takt des Gehirns“ und „Was Hänschen nicht hört…“ nachgelesen werden sollten, werden wir noch ein paar Belege für Ursachen der LRS sammeln, die die von Fred Warnke vorgeschlagenen und diskutieren Therapieschritte noch einmal erläutern

Catt’s und Siegel schrieben (1996): „Now is the right time to redefine dyslexia to reflect the central role of phonological processes in its aetiology (of dyslexia)”

Demgegenüber kommen Steinhagen, Guteweit (1971), Watson, Miller (1993) und Suchodoletz, Alberti (2002) zu dem Schluss dass LRS Kinder keine generellen Defizite im Bereich der auditiven Wahrnehmung aufweisen. Strehlow fand 2002 keinen Effekt eines auditiven Trainings auf die Leseleistung.
Professor Talall betonte aber (2001), dass bei lese-rechtschreibschwachen Kindern kein Defizit in der auditiven Wahrnehmung, wohl aber in der Zeitverarbeitung bestehe.

„The acoustic cues that distinguish letter sounds are changes in frequency and changes in amplitude. For instance the only difference between the sounds of the band a is a decrease composed with an increase respectively during the first 40 to 50 ms in the frequency of the second and third formants of the speech sounds…what we have found is that dyslexics and poor readers in general are significantly worse than good readers at detecting frequency modulation of a 500Hz tone…”

Lundberg und Hoyen (Dyslexia and phonology, Fawcett 2001)

“Lack of phonological awareness is related to failure in learning to read and write. This association is in fact one of the most robust findings in development at cognitive psychology and it has been replicated over and over again across several languages, ages and tasks used to assess phonological awareness.”

Das Training der phonologischen Bewusstheit dürfte heute partiell in keiner LRS Therapie fehlen. Oftmals ist es in Computerprogrammen zur Therapie der LRS integriert. Ein auditives Training von Teilelementen, das nicht in ein umfassenderes Trainingsprogramm von Wahrnehmungs- und motorischen Funktionen eingebunden ist, dürfte aber ebenso wenig von Erfolg gekrönt sein wie das Brain Boy Training weniger Funktionen in Berwangers Studie (2002)

Cramer (1997) berichtet über eine Verbesserung im Rechtschreibtest bei 10 Kindern nach einem auditiven Training, ebenso Hesse et al. (2001), oder Tewes et al. (2003) Die Kritiker bemängeln das Einflechten von metalingustischen und metakognitiven Elementen in die Testanordnungen. Dazu ist anzumerken, dass wohl keine Therapie sich auf eine völlige Einseitigkeit beschränken wird, womit die Kritik hinfällig ist.

Dass auditive Fähigkeiten trainierbar sind, belegen Studien von  Michalski und Tewes (2001) und von Suchodoletz und Alberti (2002). Dass die Verbesserung der phonologischen Bewusstheit zu eine Transfer auf die Leistungsebene führt, belegt eine Studie von (Kujala et al., 2001): 24 Kinder im Alter von 7 Jahren wurden 7 Wochen trainiert an zwei Tagen in der Woche. Trainierte Aufgabe: Tonhöhe, Tondauer, Lautstärke. Das Ergebnis war eine Verbesserung der Lesegenauigkeit und der Lesegeschwindigkeit. Der Transfer auf die Rechtschreibleistung wurde nicht überprüft. Der Lernerfolg war auch im EEG sichtbar.

In der Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie von April 1995 schreibt R. Schydlo. „In jüngster Zeit wurden durch Hirnschnitte (Rosen, Galaburda) und Bild gebende Verfahren die Befunde von Paula Talall und unsere eigenen klinischen Befunde bestätigt, bei denen wir u.a. festgestellt hatten, dass bei Patienten mit ausgeprägter Legasthenie in ca. 70% der Fälle zentrale auditive Wahrnehmungsstörungen vorlagen. Die Kinder wiesen in der Regel Sprachentwicklungsverzögerungen, Sprachverständnis-merkfähigkeits- und Aufmerksamkeitsstörungen auf. Sie entwickelten in der Schulzeit nicht nur LRS Schwierigkeiten sondern auch andere Schulprobleme, die sich wiederum in unterschiedlichen psychischen und psychosomatischen Reaktionen äußerten.“

Zur phonologischen Bewusstheit schrieb Lundberg (1998), dass bei einem Training auch Vorteile zum Erwerb der Schriftsprache zu erwarten sind

Eine Arbeitsgruppe der Universität Würzburg (Küspert/Schneider, 2001) trainierte Kinder mit Lauschspielen, Silben, Anlauten und Phonemen. Das Ergebnis: Die trainierten Kinder waren der Kontrollgruppe im Lesen und Rechtschreiben SIGNIFIKANT überlegen.

Wie aber kommt es zu den auditiven Problemen bei betroffenen Kindern?

Stein und Talcott vermuteten: „The wide-ranging manifestations of this syndrome together with strong evidence for its genetic basis suggest that it is probably a by-product of a much more fundamental neurodevelopmental syndrome. We believe that it may result from impaired development of magnocellular neurones throughout the brain perhaps as a consequence of immunological attack. (Galaburda, Livingstone, 1993; Stein and Walsh, 1997; Stein and Talcott, 1999).”

Die Autoren waren der Meinung, dass physiologische Ursachen zur Entwicklung der LRS führen, die einer genetischen Disposition zu verdanken sind.

Merzenich, Talall et al. führen 1996 an:

„At this age >5 when the brain is still extremely plastic, we know that perceptual training can greatly improve these functions”

Eine Untersuchung mit 7 sprachentwicklungsgestörten Kindern zwischen 5 und 9 Jahren ergab, dass nach tägliche Training  (Silben, Wörter, Sätze), die hinsichtlich des Frequenzverlaufs gedehnt und in der Lautstärke modifiziert wurden, Verbesserungen in der Tondiskrimination und der Phonemdifferenzierung erreicht wurden. Die Förderung im Umgang mit der Lautstruktur der gespeicherten Sprache schaffte also die spezifischen Voraussetzungen dafür, dass den Risikokindern der schwierige Schritt zum Lesen und Schreiben deutlich erleichtert werden konnte. (Schneider et al. 1999)

Das Warnke Verfahren beinhaltet bekanntermaßen im auditiven Trainingsteil das so genannte Low-Level Training, also ein Training unterhalb der phonologischen Ebene, das im Grunde ein Training der Zeitverarbeitung ist.

Tatsächlich ist das Problem aber anscheinend weiter gesteckt.

Wenn wir uns der Schreibweise eines Wortes nähern wie zB. Donaudampfschifffahrtskapitän, werden wir bemerken, dass wir das Wort segmentieren. Do nau dampf schiff fahrts ka pi tän. Das ist uns aber nur möglich, weil wir die Hebungen und Senkungen der Sprache als Rhythmus erkennen und aufnehmen. Die richtige Schreibweise beim Buchstabieren erschließen wir uns nun offensichtlich so, dass wir die Teilabschnitte vor uns hersprechen und gleichzeitig visualisieren. Nun ist die Schreibweise klar und leicht möglich. Wir schreiben Do, stopp, nau, stopp, dampf, stopp, schiff, stopp, fahrts, stopp, ka, stopp, pi, stopp, tän. Tatsächlich haben wir die auditive UND visuelle Sequenz in Verbindung zu einer motorischen Sequenz gebracht.

Voraussetzung dafür war also offensichtlich eine gute Rhythmisierung.

Wenn wir Kindern sinnfreie Silben wie ba, da, ga vorsprechen und diese bitten, nachzusprechen, beobachten wir oftmals, dass betroffene Kinder bereits bei 3 Silben Probleme haben. Diese Probleme sind offensichtlich am mangelnden Schulerfolg beteiligt. Anfänglich dachte ich, dass das Maß an Sprachinformation so deutlich abgeschwächt ist, dass man von einer auditiven „Kurzhörigkeit“ sprechen kann. Trainierbar ist dieses Defizit durch ein intensives Brain Boy Training mit einem anschließenden Silbentraining, wobei dem Kind zehn 3er Silben, zehn 4 er Silben usw. vorgesprochen werden, die wiederholt werden müssen. Kinder, die jeweils 5 Silben bei zehn Wiederholungen fehlerfrei wiedergeben können, haben in der Regel keine Schulprobleme mehr.

Dass auch dieses Training mit Rhythmisierung zu tun hat, konnte ich oft beobachten. Das Mitklopfen nach jeder Silbe ermöglichte es, teiltrainierten Kindern einen Sprung zu machen von gemerkten 3 Silben auf 4 oder von 4 auf 5. Tatsächlich wird der Fachmann bestätigen, dass eines der Probleme der Kinder mit Rechtschreibproblemen darin besteht, dass sie Wörter außerhalb der phonetischen Struktur schreiben oder nicht in der Lage sind, freie Aufsätze zu schreiben, für die es unbedingt notwendig ist, dass man eine innere Sprachmelodie findet, die synchron zum Akt des Schreibens verläuft.

Diese Synchronisierung zwischen verschiedenen Tätigkeiten ist offensichtlich das Problem. Es besteht ein Automatisierungsdefizit, entweder im Hören der Tonhöhenunterschiede, oder in der Rhythmisierung von Schreibprozessen oder in der Synchronisierung von Gehörtem und Geschriebenen. Jetzt kann man eventuell auch verstehen, wie das Brain Boy Training funktioniert. Der Brain Boy auditiv trainiert die schnelle zeitliche Erfassung von auditiven Ereignissen. Der Sound Boy das Erkennen von Betonungsnuancen, der Sync Boy das Synchronisieren von Hören, Sehen und Motorik, der Trio Boy von Strukturen usw.

Es ist eine große Syntheseleistung des Gehirns, ein Wort zu hören, auditiv zu analysieren, es zu zerlegen, die Bestandteile zu visualisieren und das Wortbild motorisch umzusetzen.

 

Mies kam 2001 zu dem Schluss, dass ein Ordnungsschwellentraining nach Warnke „zwingende Notwendigkeit“ sei, „…Erstklässler sollten Ihre Ordnungsschwelle auf Werte von 30 Millisekunden trainieren.“

 

Was aber ist die Ordnungsschwelle genau?

 

Vor Jahren fand ich in einer Bücherei ein  Buch mit dem Titel „Über die Entstehung der Welt im Gehirn“ Autor war der Gehirnforscher Ernst Pöppel.

Ernst Pöppel erwähnte in diesem Buch den „Takt des Gehirns“, eine messbare Zeitspanne von etwa drei Sekunden, die das Jetzt bedeuten. Das für den Hirnforscher zu erklärende Phänomen ist die Synchronizität verschiedener biologischer Prozesse im menschlichen Gehirn. Pöppel benannte die Fusionsschwelle, die Ordnungsschwelle, die Ereigniskettenbildung bis hin zum subjektiven Jetzt und der folgenden Antizipation. Fusionsschwelle (2ms) ist die Schwelle, die es ermöglicht, zwei Reize als getrennt wahrnehmen zu können, Ordnungsschwelle (20ms) ist die Schwelle, in der zwei Reize noch in ihrer zeitlichen Ordnung angegeben werden können. Die Schwelle also, an der der Mensch noch sagen kann, dieses Ereignis war vorher, dieses danach. Die Ereigniskettenbildung (100-500ms) ist der Bereich in der zeitliche Abfolgen, die sich über mehrere Laute erstrecken, in ihrer korrekten zeitlichen Folge wiedergegeben werden können. Im subjektiven Jetzt (ca. 2-3 Sekunden) werden z.B. prosodische Muster des Intonationsverlaufs wahrgenommen. Da man sich das Gehirn als getaktet vorstellen kann, liegt der Gedanke nahe, mentale und körperliche Leistung zu steigern, indem man die Geschwindigkeit trainiert, in der das Kind Ordnung in Wahrnehmungen bringen kann. Dass ein solches Training möglich ist, belegte die Studie von Tewes (2003), der in seiner Studie überprüfte, ob ein Low-Level Training mit dem Brain Boy der Firma MediTECH die Ordnungsschwelle, die bei lese-rechtschreibschwachen Kindern oftmals höher liegt als bei anderen Kindern, senken kann. Die Studie bestätigte das. Wie man den obigen Ausführungen über die Ereigniskettenbildung und das subjektive Jetzt entnehmen kann, hat eine Verbesserung der Ordnungsschwelle einen Einfluss auf höhere Ebenen der Sprachbildung, bis hin zur Antizipation, die als zeitliche Organisation zukünftiger Handlungen definiert ist, (Pöppel, 1978) und die notwendig ist, um das Gehörte in Geschriebenes umzusetzen.  Obwohl Warnke die Indikation für das Brain Boy Training nicht so weit steckt, zeigt die praktische Erfahrung, dass das Training mit dem Brain Boy auch zu Verbesserungen  im motorischen Bereich der Kinder führt und dass es einen Einfluss auf die allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit hat, die zu Verbesserungen der Konzentration und damit zu Verhaltensverbesserungen (höhere Konzentrationsfähigkeit, größere geistige Beweglichkeit) der Kinder führen kann. Wenn man dem Gehirn eine holographische Struktur attestiert, wie es manche Neurofeedbacktherapeuten tun, wenn man also davon ausgeht, dass man niemals singuläre Funktionen im Gehirn trainiert ohne andere Funktionen mit zu trainieren, dann sollte ein Training der basalen Wahrnehmungsfunktionen auch zu einer allgemeinen Steigerung der Leistungsfähigkeit von Hirnfunktionen führen können. Ich vermute, dass das Brain Boy Training einem Training der Beta Frequenzen über dem auditiven Cortex entspricht, das von Neurofeedbacktherapeuten erfolgreich angewendet wird.

Zu dem Thema auch Pöppel in: “Time perception, Handbook of sensory Physiologie“, oder Pöppel: “A hierarchical model of temporal perception in cognitive science“, oder Steinbüchel: (1987) „Therapie der zeitlichen Verarbeitung akustischer Reize in aphasischen Patienten“ (Dissertation Uni München), dann auch

Steinbüchel: „Befund und Training der zeitlichen Verarbeitung von Hörreizen bei Grundschülern mit LRS.“

 

„Dyslexic children suffer not only…from a deficit in phonological

processing but also in central processing speed.” Die Kinder leiden an einem: „sensory deficit (flicker, motion sensivity, rapid auditory discrimination), bad balance, phonological problems, problems with working memory speed.

(Wolf and Bowers, 1999).

 

Das Training Warnkes umfasst 8 Low-Level Funktionen, die alle trainiert werden müssen.

Die      1: visuelle Ordnungsschwelle

  1. auditive Ordnungsschwelle

3: Richtungshören

4: Tonhöhenunterscheidung

5: Augen Hand Koordination als Finger Tapping

6: Wahl-Reaktionszeit

7: Mustererkennung

8: Mustererkennung langer Töne

 

 

Zu 1 und 2 heißt es bei Fred Warnke:

 

Visuelle, auditive Ordnungsschwelle

„Schon in den frühen achtziger Jahren hat Prof. Ernst Pöppel…grundlegende Untersuchungen zur Ordnungsschwelle vorgestellt…Sein Kollege Professor Kegel…hat den Zusammenhang zwischen der Ordnungsschwelle und der sprachlichen Kompetenz des Menschen erforscht…Nur wenn unser Gehirn in der Lage ist, diese Zeitabstände einzuhalten…können wir Sprache mühelos wahrnehmen und verstehen.“ (Fred Warnke, Information für Eltern, 2006)

 

Zu 3: Richtungshören

„Für die meisten Menschen ist es selbstverständlich, dass sie auch mit geschlossenen Augen die Richtung eines herannahenden Autos wahrnehmen oder sich inmitten vieler sprechender Menschen auf den jeweiligen Sprecher konzentrieren können. In der Schulklasse ist diese Fähigkeit von besonderer Wichtigkeit. Der weitgehend unvermeidliche Geräuschpegel in ruhigen deutschen Schulklassen liegt bei etwa 50 dB(A), in lebhafteren Klassen eher bei 60 dB(A). Je besser sich ein Schüler auf die Richtung der Stimme des Lehrers oder des gerade antwortenden Mitschülers konzentrieren kann, die sein Ohr nur mit 60 … 65 dB(A) erreichen, desto leichter fällt es ihm, dem Unterrichtsgeschehen zu folgen, ohne sich durch diese Störgeräusche ablenken zu lassen.

Wenn aber ein Schüler…diese Fähigkeit…nur unzureichend besitzt, wird er durch diese Störgeräusche…so abgelenkt, dass er einen Teil der…Informationen nicht versteht und das Unverstandene aus dem Zusammenhang ergänzen muss. Diese Schüler gelten dann als unaufmerksam oder leicht ablenkbar. Professor Jens Blauert hat dieses Phänomen gründlich beschrieben und als wesentliche Voraussetzung…die genaue Auswertung der Laufzeitunterschiede zwischen den beiden Ohren dargestellt…Diese Laufzeitunterschiede werden von unserer zentralen Hörverarbeitung automatisch ausgewertet. Bei sprachauffälligen Kindern ist diese Fähigkeit oft beeinträchtigt.“ (ebenda)

 

Zu 4:

Tonhöhenunterscheidung

„Um Sprache zu verstehen muss der Mensch „Sprechlautstärke, Sprechrhythmus, Sprechmelodie und Sprechgeschwindigkeit…hören und beherrschen…Wichtigste Voraussetzung für eine „effiziente“ Prosodie ist natürlich die Fähigkeit, diese kleinen Tonhöhenunterschiede in der eigenen Sprache überhaupt wahrzunehmen…Erfreulicherweise lässt sich auch diese Fähigkeit trainieren. Eine umfängliche Studie des Professor Meyer von der…weist unter anderem beispielsweise nach, dass 67% der getesteten Musiker, die ein Streichinstrument spielten, noch Tonintervalle von 0,4% voneinander unterscheiden konnten…Diese Werte hatten sie als Kinder gewiss noch nicht besessen, sondern erst durch Übung erreicht.“ (ebenda)

 

Zu 5:

Synchrones Finger-Tapping

„Unter dem synchronen Finger Tapping verstehen wir die Fähigkeit, zu einer Folge von raschen Links-Rechts-Klicks zeitgleich abwechselnd mit den Fingern zu klopfen. Sie ist höchstwahrscheinlich ein Maß effizienter Koordination der beiden Hirnhälften. In mehreren Untersuchungen hat Prof. P.H. Wolff von der Universität Harvard an Schülern unterschiedlichen Alters bestätigt gefunden, dass LRS Kinder im Vergleich zu der Kontrollgruppe gutschreibender Kinder erheblich größere Schwierigkeiten hatten, wirklich synchron zu eine regelmäßigen Links-Rechts-Muster von Klicks im Kopfhörer mit den Fingern beider Hände einen gleich bleibenden Klopfrhythmus aufrechtzuerhalten. Er führt dies auf eine mangelhafte Koordination zwischen den beiden Hirnhälften der LRS Kinder zurück“ „Ausgehend von diesen Ergebnissen begründete Wolff seine Vermutung, dass die motorischen Defizite bei der Synchronisierung zwischen linker und rechter Hand die Folge einer Störung der interhemisphärischen Kooperation bei diesen Jungen mit Leseschwäche seien, ferner nahm er an, dass auch die Leseprobleme dieser Kinder die Folge einer Entwicklungsverzögerung der interhemisphärischen Kooperation seien.“ (ebenda)

 

Zu 6:

Wahl-Reaktionszeit

„Den Nachweis, dass bei derartigen Wahl-Reaktions-Aufgaben die auditiv-motorischen Zeiten der LRS Kinder deutlich denen der Kontrollgruppe unterlegen waren, verdanken wir wieder Professor Nicolson und seinem Team.…Dieses letzte Ergebnis legt nahe, dass wenigstens zwei Faktoren zu der Langsamkeit von LRS Kindern beiragen: Ein allgemeines Defizit, das sich in einer langsameren Reizklassifizierung zeigt, und ein linguistisches Defizit, das sich in einer langsameren lexikalischen Zugriffsgeschwindigkeit zeigt.

Das bestätigt weiter die Auffassung, dass LRS Kinder grundsätzlich ein breit angelegtes Automatisierungsdefizit aufweisen, das sich um so gravierender auswirkt, je komplexer und in einander vernetzt die Abfolge von Aufgaben wird, von denen jede Einzelne automatisiert sein müsste.“(ebenda)

 

Zu 7a

 

„Der amerikanische Neurowissenschaftler Professor Frank E. Musiek hat in längeren Versuchsreihen…herausgefunden, dass Probleme bei Versuchspersonen, diese Aufgabe zu bewältigen, in engem Zusammenhang mit deren sprachlicher Kompetenz standen.“ (ebenda)

 

Zu 7b

 

„Der oben erwähnte Neurowissenschaftler Musiek hat einen weitere Test entwickelt, bei dem er seinen Versuchspersonen rasche Folgen von jeweils drei aufeinander folgenden Tönen gleicher Tonhöhe, aber unterschiedlicher Dauer vorspielte…Musiek fand heraus, dass die Ergebnisse seiner zahlreichen Versuchspersonen auch bei diesem Test wiederum in engem Zusammenhang mit deren sprachlicher Kompetenz standen.“(ebenda)

 

Trainiert werden diese Funktionen mit dem so genannten Brain Boy Universal Professional, kurz BUP. Ein tägliches häusliches Training mit dem Bruni, dem kleinen Schwestergerät, das die Eltern der Kinder zum Preis von 180 € bei der Firma MediTECH kaufen sollten, wird empfohlen.

Jeder Trainingslauf wird zwei Mal durchgeführt, wobei im ersten Lauf der visuelle Kanal zugeschaltet wird, so dass der schnellere Sinneskanal den langsameren trainiert.

 

Kritiker:

 

Berwanger kritisiert 2002, dass der erhoffte Transfereffekt auf Fähigkeiten im Bereich der Laut- und Schriftsprache ausblieb.

 

„Ein Training der Zeitverarbeitung hatte keinen Einfluss auf die Fähigkeit, Laute, die sich nur hinsichtlich ihrer zeitlichen Charakteristika voneinander unterscheiden, zu differenzieren.… Auch konnte weder im Bereich der Sprachproduktion noch des Sprachverständnisses eine Verbesserung in Sprachtests nachgewiesen werden…Auch hinsichtlich des Ziels des Trainings konnten keine positiven Effekte beobachtet werden.“ (Berwanger, 2002)

Außerdem wiesen nicht alle Kinder mit LRS erhöhte Ordnungsschwellenwerte auf.

Die Studien von Tewes hingegen kamen zu einem anderen Schluss:

 

„Empirisch wurde nachgewiesen, dass ein Zusammenhang zwischen Lernstörungen und grundlegenden Funktionen der Zeit- und Frequenzauflösung im Hören, im Sehen und in der Motorik bestehen.“ (Prof. Tewes et al.: Automatisierungsstörungen als Ursache von Lernproblemen, Forum Logopädie 1/2003)

 

„Zu Beginn der Studie wurden u.a. die Rechtschreibleistungen der Kinder mit dem DRT-3 ermittelt. Die Ergebnisse der drei Gruppen nach dem Training auf der Lese-Rechtschreibebene: Die Fehlerzahl…reduzierte sich, allein mit Low-Level-Training um 6.63 Fehler…“ (Werbebroschüre MediTECH, 2007)

 

Professor Ptok, der den Einfluss einer gestörten Low-Level-Ebene auf höhere Ebenen der Sprachverarbeitung erforscht und bestätigt, hat, laut Werbebroschüre der Firma MediTECH,  Kinder, die an Low-Level-Defiziten litten, Herrn Hesse für eine Studie in einer stationären Intensivtherapie zugeführt. Die Trainingsergebnisse zeigten eine signifikante Verbesserung auch der hierarchisch höher angesiedelten Funktionen in Entwicklungs-, Aufmerksamkeits-, und Rechtschreibtests.

 

 

 

Fast jedes Kind mit Lernstörungen profitierte vom Brain Boy Training. Eine Verbesserung der Werte ergibt eine deutliche Verbesserung in der Auffassungsgabe der Kinder, in der Reaktionszeit und im Verhalten. Einen direkten Einfluss eines reinen Brain-Boy-Trainings auf die Rechtschreibleistung von Kindern halte ich, trotz der Studie von Tewes, für unmöglich. Warnke erläutert ja, dass auf Grund vorgeburtlicher Einflüsse oder unzureichender Hörbilanz in den ersten Lebensjahren das Anlegen gestaltfester innerer Repräsentationen oder Engramme bei den betreffenden Kindern verzögert oder behindert gewesen seien, wodurch das Kind lautsprachlich auffällig wurde und Kraft seiner Intelligenz einen kompensatorischen Lautsprach-Aufbau auf der Ganzwortbasis entwickelt habe. Auf Grund dieses mehr oder weniger unauffälligen Problems sei ihm die automatisierte Verknüpfung von Graphemen und Phonemen erschwert und es lese auf Ganzwortbasis. Dadurch entwickele es kein inneres visuelles Lexikon sondern sei gezwungen auf der auditiven Ebene zu buchstabieren. Ein Automatisierungstraining mit dem Brain-Boy helfe dem Kind diese basalen Probleme zu überwinden und es werde Lesestrategie und phonologisches Bewusstsein verändern und eine bessere Rechtschreibung erlernen. Es muss in jedem Falle ein Lateral Training, ein Merktraining und ein Visualisierungstraining ergänzend dazu kommen. Außerdem müssen Diktate geübt werden, ein motorisches Training sollte nicht fehlen und es sollte als ergänzendes Aufmerksamkeitstraining ein HEG oder Neurofeedbacktraining dazu kommen. Trotzdem ist das Brain-Boy-Training ein wichtiger Bestandteil der Therapie, denn OHNE Brain-Boy-Training sind nach unserer Erfahrung Fortschritte in der Rechtschreibung, beim Lesen und beim Rechnen kaum zu erreichen.

 

Das Brain Boy Training hat inzwischen einen zentralen Stellenwert in unserer Therapie gefunden. Ursache dafür waren die signifikant größeren Trainingserfolge bei Kindern, die zu Hause täglich ein Brain Boy Training absolviert hatten. Das größte Problem für den Therapeuten ist es, die Mitwirkung von Eltern und Kind zu erzielen, ohne die das Training nicht funktioniert. In der Trainingsitzung in unserem Warnke Trainingszentrum ist es nicht möglich, das ganze Low-Level Training durch zu führen. Es heißt also, Überzeugungsarbeit zu leisten.

 

Nachdem wir nun einige Auszüge aus wissenschaftlichen Publikationen über den Zusammenhang zwischen auditiven Problemen und LRS gelesen haben und einen kleinen Teil von Warnkes Vorschlägen, diesen zu begegnen kennen, können wir Herrn von Suchodoletz und seinen Autoren des Ratgeber LRS nicht mehr bedenkenlos zustimmen, wenn er eine entsprechende Ursachentherapie ablehnt.

 

Natürlich wird ein reines Low-Level-Training nach Warnke die Probleme der betroffenen Kinder ebenso wenig beheben wie etwa ein reines Blicksteuerungstraining, wie es Professor Fischer von der Universität Freiburg entwickelte. Suchodoletz kritisiert an den positiv verlaufenen Studien von Tewes (2003) oder Kujala (2001), dass die Studien Elemente enthielten, die zusätzlich zum positiven Ergebnis beigetragen habe könnten.

In der Praxis wird kein Therapeut ein isoliertes Blicksteuerungstraining oder ein isoliertes Low-Level-Training anbieten, sondern solche Elemente in ein umfassenderes Trainingsprogramm einbauen. Tatsächlich ist die spezielle, von Warnke entwickelte, Methode zur Therapie von Lese-Rechtschreibstörungen ein Kompositum verschiedener Trainingseinheiten, die gezielt die in einer präzisen Befundung beobachteten Defizite des Kindes im Bereich des Sehens, Hörens und der Motorik trainieren. Im Verlaufe einer solchen Therapie werden selbstverständlich auch Übungen zum Transfer auf die Leistungsebene Bestandteil sein.

 

Es kann als erwiesen gelten, dass lese-rechtschreibschwache Probleme mit auditiven Problemen und Problemen der Zeitverarbeitung gemeinsam auftreten. Die Forschungsergebnisse legen nahe, dass insbesondere ein Problem der zeitlichen Verarbeitung von auditiven, visuellen und motorischen Reizen den Problemen lese-rechtschreibschwacher Kinder zugrunde liegen könnten, was den Einsatz eines Trainingsgerätes wie z.B. den Brain Boy der Firma MediTECH nahe legt.

 

 

Kurzzeitmerkfähigkeit

 

Während die gesprochene Sprache Element des Menschseins überhaupt ist und ebenso sicher und genetisch vorbestimmt erlernt wird, wie das Gehen oder Aufrecht Stehen, ist die Schriftsprache ein vergleichsweise junges Ausdrucksmittel der Menschheit, das offenbar eine größere Abstraktionsfähigkeit verlangt, als es den frühen Menschen möglich war. Insbesondere die von den Griechen entwickelte Lautschrift verlangt eine große Analyse- und Synthesefähigkeit, die nicht ursprünglich zum Repertoire der menschlichen Fähigkeiten gezählt haben kann. Jedem gesprochenen Laut ein Zeichen zuzuordnen und das gesprochene und flüchtige Lautgebilde in ein Zeichensystem bannen, das das zeitliche Überdauern von Nachrichten in ihrem Lautcharakter möglich macht, erfordert ein Höchstmaß an intellektueller Durchdringung eines quasi natürlichen Prozesses, des Sprechens. Dass eine solche Kulturtechnik mit der Zeit wie selbstverständlich von vielen Menschen beherrscht wird, ist ein erheblich jüngeres Phänomen, dass man die Schriftsprache standardisiert und eine einheitliche Schreibweise verlangt, ist allerneuesten Datums.

Nun allerdings wird nicht mehr nur die Lautanalyse verlangt und das Umsetzen in erlernte Lautzeichen sondern auch das in Verbindung Bringen mit einem gespeicherten allseits anerkannten Wortbild – und das bei einem Wortschatz, der einige tausend Wortbilder beinhaltet. –

Eine Sprache erlernt fast jeder Mensch auf natürliche Weise, selbst das taubstumme Kind entwickelt unter anderen taubstummen Kindern eine grammatikalisch ausgeformte Sprache. Dass die Sprache bei manchen Kindern deutlich gestört ist, ist durch anatomische Besonderheiten oder frühkindliche Hörstörungen sowie Beeinträchtigungen des auditiven Zentrums im Gehirn wohl hinreichend zu erklären, dass solche Kinder auch erhebliche Probleme haben, die Schriftsprache zu erlernen, liegt allein schon daran, dass zu den im Schulunterricht vermittelten Graphemen nicht ausreichend gespeicherte Engramme von Lauten vorhanden sind. Dass aber die zeitliche Verarbeitung von auditiven oder visuellen Signalen bei manchen Kindern verlangsamt ist, die nur wenige andere Symptome zeigen, die aber auf Grund dieser verlangsamten Reizverarbeitung Probleme haben, die Schriftsprache zu erlernen, ist eine neuere Theorie, die auf messbaren und nachweisbaren Phänomenen fußt. Probleme bei der zeitlichen Verarbeitung von Reizen beeinträchtigen die Geschwindigkeit und Exaktheit der Lautanalyse ebenso wie das Festhalten von auditiven Signalen im Kurzzeitgedächtnis wodurch die Sinnentnahme von Texten und die Umwandlung dieses gehörten Textes in einen geschriebenen Text, der gespeicherte Wortbildern entsprechen und der grammatikalisch richtig und leserlich geschrieben sein soll, erschwert wird. Wenn keine völlige Automatisierung in dieser Kette von abzurufenden kognitiven und physiologischen Handlungen erreicht ist, muss dieser Prozess scheitern.

 

Dazu Snowling (1987)

 

„If poor readers are worse at detecting frequency change, they should be worse at phonological analysis. Proficient readers can read pseudo nonsense words, such as tegwop even though they are totally novel, because they can sound on the letters one by one. But anybody with poor phonological skills who cannot retrieve letter sounds quickly and accurately is going to be slower and make more errors, when attempting to read nonwords, thus this nonsense word reading best is a very good measure of phonological ability”

 

Ergänzend können wir sagen, dass die Probleme beim Lesen von sinnlosen Wörtern, die bei fast allen lese-rechtschreibschwachen Kindern zu beobachten sind, eine Folge einer durchgehenden Automatisierungsproblems sind, das sich zuerst in der erhöhten Ordnungsschwelle zeigt, die dazu führt, dass die Lautanalyse bis in höhere sprachliche Ebenen beeinträchtig ist.

 

Jorm et al (1984) testete die Gedächtnisfähigkeit von 5 jährigen Schulbeginnern. Die Kurzzeitmerkfähigkeit zeigte sich als Merkmal, wer wie gut in der Schule wird, unabhängig von anderen Größen wie dem IQ oder der Lesefähigkeit.

Mann und Liebermann kamen 1984 zu dem gleichen Ergebnis. Ellis behauptete 1991, dass die mangelhafte Lesefähigkeit das Kurzzeitgedächtnis beeinträchtige. Frick (1984) und Rack (1985) behaupteten, dass Wissen und Buchstaben die Basis für die Erinnerung sind. Studien von Badeley (1966) und Conrad (1964) mit sich reimenden und nicht reimenden Phonemen ergaben, dass phonologische Phoneme im inneren Kurzzeitgedächtnis länger gespeichert werden als ungeordnete. Anfänglich dachte man, lese-rechtschreibschwache Kinder benutzten keinen phonologischen Code, doch beim Vergleich mit jüngeren Kindern, die normal lasen, zeigten sich keine Unterschiede. „Auch LRS Kinder merken sich Reime besser, aber sie sind nicht so effizient wie andere Kinder.“(ebenda)

 

In der Praxis zeigt sich, dass das Lesen das Kurzzeitgedächtnis für sinnfreie Wörter nicht verbessert. Kinder, die Schulprobleme haben, fallen dadurch auf, dass sie sich maximal drei sinnfreie Silben merken können. Wenn das Kind sich nur drei sinnfreie Silben merken kann, hat es mit großer Sicherheit deutliche Schulprobleme. Wie oben angemerkt ist die zeitliche Verarbeitung von auditiven Signalen bei betreffenden Kindern verlangsamt, was das Problem der schlechten Kurzzeitmerkfähigkeit sinnfreier Laute deutlich erklärt. Offensichtlich ist aber diese beeinträchtigte Kurzzeitmerkfähigkeit zumindest ein Indiz für eine Beeinträchtigung der weiteren Sprachverarbeitung. Informationen werden nicht adäquat ausgewertet, die Adaption gelingt nicht und das Umwandeln von Sprache in Schriftsprache gelingt nicht. Eine Merkfähigkeit von 5 sinnfreien Silben ist dagegen fast schon ein Garant für gute Schulleistungen. Da ein geeignetes Training, wie es Warnke vorschlägt, die Kurzzeitmerkfähigkeit deutlich verbessert, ist die Behauptung, das Lesen sei für eine solche Verbesserung nötig, widerlegt. Im Gegenteil wird sich ein solchermaßen beeinträchtigtes Kind eben wegen dieser durchgängigen Problematik leseunwillig zeigen. Erst die Verbesserung der Voraussetzungen führt zu Fortschritten beim Lesen.

Frith vermutete 1985, dass lese-rechtschreibschwachen Kindern der Sprung vom logographischen zum alphabetischen Lesen auf Grund ihrer Probleme, Phoneme zu erkennen und zu rhythmisieren nicht gelingt. Ehris Modell zum Leseerwerb ist ein Dreischrittmodell, zuerst das visualisierte Lesen, dann das phonematische Lesen, dann das phonematische Landkartenlesen.

In der ersten Phase machen die Kinder Gebrauch von „Visual features of words“, in der zweiten von phonetischen Hinweisen, um sich Wortbedeutungen zu erschließen.

Lundberg et al zeigten, dass ein Training der phonologischen Bewusstheit die Lesefähigkeit beeinflusst. Hatcher, Hulme und Ellis fanden größere Fortschritte bei Kindern, die Lesen und phonologische Bewusstheit trainierten.

 

Aus der Sicht Warnkes beeinträchtigt die Low-Level Problematik die Kurzzeitmerkfähigkeit und die phonematische Diskrimination von Lauten. Nachdem nun also ein Low-Level Training die erste Phase des Trainings einleitet, folgt ein Training der Kurzzeitmerkfähigkeit mit sinnfreien Silben.

Dieses Training erfolgt in der Regel mit dem Lateral-Trainer, einem von Warnke entwickelten technischen Hilfsmittel.

Dieses bietet Kindern über Kopfhörer Musik oder Sprache an, die zwischen dem rechten und linken Ohr hin und her wandert. Die Kinder hören zuerst einen Text, der vom einen Ohr zum anderen wandert, dann lesen sie ihn entschleunigt, also sehr langsam, begleitet von der Therapeutenstimme, ins Mikrofon. Im Kopfhörer wandert die Stimme des Kindes gegenläufig zur Therapeutenstimme von Ohr zu Ohr. Im dritten Durchgang liest das Kind zeitgleich zur CD Stimme, die ebenfalls im Kopfhörer als akustisches Gegenbild zur eigenen Stimme zu hören ist und mit dieser immer wieder die Seite tauscht.

„Das Lateral Training geht von den Erkenntnissen aus, dass Wörter interhemisphärischen Netzwerken entsprechen, die über das Corpus callosum zusammen gehalten werden“ (Pulvermüller-F, Neurobiologische Wortverarbeitung, Naturwissenschaften 82 (1995) 279-287.

Die Werbebroschüre der Firma MediTECH merkt dazu an: „Ferner ist das Corpus callosum bei LRS-Kindern häufig sowohl in seinem Querschnitt (Hynd-GW et.al. Dyslexia and corpus callosum Morphology, Arch-Neurol 1995 Jan; 52(1): 32-38) als auch in seiner Funktion (Summerfield-V, „Processing of Tactile Stimuli and Implications for der Reading Disabled“, Neuropsychiologia. 1993 Sep; 31 (9), S. 965-976) beeinträchtigt, und kann somit seinen Aufgaben der Koordination und Synchronisation beider Hirnhälften oft nur ungenügend gerecht werden. Beim Lateral Training des Corpus callosum wird eine Modellstimme in Kunstkopf-Stereofonie ständig abwechselnd beiden Ohren zugeführt. Das synchron mit dieser Modellstimme lesende oder singende Kind kann seine eigene Stimme stets von der entgegen gesetzten Seite hören und sie so mit der Modellstimme (Hörbeispiele auf der CD. Einsicht in das Warnke Verfahren“, MediTECH-Verlag, (20019, ISBN 3-932659-15-5) gut vergleichen.

Waldemar von Suchodoletz schreibt dazu:

„Als Einsatzgebiete werden neben der Lese-Rechtschreib-Störung auch Sprach-, Stimm- und Sprechstörungen, auditive- und/oder visuelle Verarbeitungsdefizite, Schwierigkeiten in der Grob-, Fein- und Graphomotorik, Gleichgewichtsprobleme, Autismus, sonstige Lernstörungen und psychosomatische Beschwerden genannt. Das Training wird überwiegend durch Logopäden, Sonderpädagogen, Ergotherapeuten und Psychologen angeboten.“

Zur Beruhigung des Herrn von Suchodoletz werden wir bemerken, dass die „Zertifizierten Lerntrainer nach Warnke“ als wissenschaftlich arbeitende Menschen, sich hüten werden, Ihre Hilfsmittel über den vorgesehenen Einsatzzweck hinaus zu mystifizieren. Das Lateral Training ist innerhalb des Warnke Verfahrens Element und Hilfsmittel des Lesetrainings und Hörtrainings. Es ist fester Bestandteil der Therapie, ohne allein schon Therapie zu sein. Der wunderbare Lateral Trainer der Firma MediTECH ist ein äußerst zuverlässiges Hilfsmittel, mit dem der gute Therapeut einem Kind ermöglich, seine eigene Stimme während des Lesevorgangs an der akustischen „Krücke“ der mitlesenden Therapeutenstimme zu stützen. Der dritte Trainingsdurchlauf, in dem das Kind allein zur CD Stimme liest, ist eine Therapie zur Synchronizität zwischen Gehörtem und Gesprochenem, es ist Multitasking Training und seine Wirkung kann gesteigert werden durch die Tonhöhenveredlung, die durch einfaches Zuschalten möglich ist. Dem schlecht hörenden Kind  wird so oftmals erstmalig ermöglicht, bisher nicht gehörte Phoneme deutlich wahrzunehmen. Insofern kann, ergänzend zu andere Therapieformen, der Einsatz eines solchen wunderbaren Hilfsmittels durchaus ausprobiert werden. Warum sollte ein Therapeut nicht versuchen, einen Autisten über einen durch Tonhöhenveredlung besser wahrnehmbar gemachten Text zu erreichen? Es gibt viele andere Methoden, die weniger elegant sein dürften und die von bemühten Spezialisten trotzdem einmal versucht wurden.

Streit (1997) erfasste Effekte des auditiven Hemisphären-Koordinationstrainings auf die Unbehaglichkeitsschwelle und das Verhalten bei hyperkinetischen Kindern. Klicpera und Gasperger Klicpera (1996) behaupteten, dass ein solches Training zu keiner bedeutsamen Verminderung von Lese- bzw. Rechtschreibfehlern führte. Lediglich die Lesegeschwindigkeit der Kinder habe sich erhöht.

Hansen-Ketels(1997) berichtete über positive Veränderungen im Lern- und Arbeitsverhalten.

In der Studie von Tewes war es in Kombination mit dem Low-Level- Training sehr wirkungsvoll.

Suchodoletz kommt zu dem Schluss, die „Effektivität derartiger Übungen aufgrund aussagefähiger Studien…solle abgewartet werden.“ (Suchodoletz, Ratgeber LRS, (2003).

 

Eigene Erfahrungen in den letzten 5 Jahren bestätigen, dass das Lateral-Training, eingesetzt als Teilelement des Warnke Verfahrens, zu einer erheblichen Verbesserung der Lesefähigkeit aller betroffenen Kinder führte, während eine Verbesserung der Rechtschreibleistung durch Low-Level und Lateraltraining allein nicht beobachtet werden konnte.

Das Lateraltraining ist aber innerhalb des Warnke Verfahrens nur Bestandteil eines umfassenderen Lateraltrainings, das die Motorik und das Lesen umfasst.

 

Der erste Eindruck von Kindern, die unser Zentrum besuchen ist oftmals trügerisch. Auch Kinder, die auf den ersten Blick sportlich und „fit“ erscheinen, stehen auf dem Wippbrett nur mit großen Problemen oder können nicht über einen Balken balancieren.

Oftmals ist das Kreuzen der Mittellinie beim Malen liegender Achten erschwert. Überkreuzbewegungen sind schwierig, rhythmisierende Bewegungen sind nicht möglich, Multitasking Handlungen sind erschwert. Solche Kinder sind oft hypoton und haben eventuell zusätzlich Sehprobleme.

Wir haben hier einen ganzen Strauß voller Probleme, die auf eine unzureichende Hemisphärenkoordination hindeuten.

Dennison schreibt 1997: Ein homolateraler Mensch (Ein Mensch bei dem die Zusammenarbeit der Hirnhälften nicht gut funktioniert.) ist begrenzt auf eine „einseitige“ Denkweise. Er hat zu einem gegebenen Zeitpunkt jeweils zu einer Gehirnhemisphäre Zugang“ „Das Abblocken der rechten Gehirnhälfte beeinträchtigt Lesen und Schreiben.“ (Dennison, 1994) „Da es den Text nur mit dem rechten Auge aufnimmt, aktiviert es entsprechend nur die linke Gehirnhälfte und seine analytische Leistung. Die Fähigkeit der rechten Gehirnhälfte, Wörter als Ganzes zu erkennen, liegt dadurch weitgehend brach. Dem Kind gelingt das Lesen zwar, aber nur langsam und mit großer Mühe. Würde das Kind hingegen nur mit seinem linken Auge lesen, wird es vermutlich darauf angewiesen sein, zu erraten, ob es sich um ein Haus oder eine Maus handelt. Die rechte Gehirnhälfte, die durch das Wahrnehmen des linken Auges aktiviert wird, begnügt sich nämlich mit einem Gesamteindruck des Wortes und findet die genauen Einzelheiten nicht weiter interessant.“(Innecken 2000)

*

Verbindung zwischen den Hemisphären auch über Augenkreuzung, homolateral, doppelt gekreuzte Fasern im Stammhirn, Verbindungen des Hippocampus

Die beiden Gehirnhälften, die sich ja spezialisieren müssen, die aber koordinieren über das Corpus callosum und die Commissura anterior*, die Nervenbänder, die die Hirnareale vernetzen, haben durchaus unterschiedliche Aufgaben und Funktionen. Während die linke Gehirnhälfte als der analytische Teil für Sprachproduktion, Logik und Ordnung quasi die männliche Seite repräsentiert, ist die rechte Gehirnhälfte als die musischere, ganzheitlichere, soziale Kompetenz beherrschende Gehirnhälfte sozusagen der weibliche Teil. Die Ehe zwischen beiden Teilen des Gehirns erfolgt über das Corpus callosum und die anderen erwähnten Nervenverbindungen.

Wie in jeder guten Ehe sollten beide Partner Teilaufgaben übernehmen und Zuständigkeiten entwickeln, im konkreten Handeln aber zusammen arbeiten und sich nicht gegenseitig störend beeinflussen.

Eben das ist aber vermutlich die Ursache der plötzlich auftretenden Verwirrung mancher Kinder. Es kommt zu einem Fehler in der Handlungsplanung und Handlungsdurchführung.

„Der Balken ist nicht nur ein einfaches Transportsystem sensorischer Informationen, sondern er hat auch die Funktion, der jeweils anderen Hemisphäre die erarbeiteten Erkenntnisse mitzuteilen (Springer und Deutsch 1987, Eccles 1987)

Der Hirnforscher Ernst Gschwend schreibt in seinem Buch: „Neurophysiologische Grundlagen der Hirnleistungsstörung, 2000)

„Das Sprachsystem stellt…ein Doppelsystem dar…Für das Sprachverständnis hat sich beim Rechtshänder streng linksseitig eine rezeptive Neuronenpopulation – der sprachakustische Rezeptivanteil – ausdifferenziert, der die über das akustische Wahrnehmungssystem doppelseitig ins Globalsystem eingelaufenen akustische Sprachmuster aus dem Globalsystem herauskopiert und mit gleichartige Wortengrammen im Gedächtnis ergänzt. An das Globalsystem zurückgegeben werden, die ergänzten Muster in ihrer Bedeutung verstanden… Es entstehen die akustisch-sensomotorischen Sprechpläne…Hinzu kommt eine musische Komponente für die Prosodie und zumeist auch eine emotionale. Nun reagiert der viel weiter vorne, präzentral liegende Sprachexpressivanteil, indem er …in die Phoneme aufgliedert und an die extrapyramidalen und pyramidalen Motoneurone beider Hemisphären (für die andere Seite über den Balken) weitergibt.“

Über das Schriftsystem schreibt der gleiche Autor: „Also besteht auch dieses System aus 2 RK- Einheiten (einer schriftvisuellen und einer sensomotorischen) sowie aus einem expressiven Anteil, die beim Rechtshänder ebenfalls linksseitig angelegt sind.“ (ebenda)

Der Neurowissenschaftler bestätigt also die notwendige Zusammenarbeit von Hirnarealen, die oftmals zur Realisation komplexer Aufgaben schnell zusammenarbeiten müssen. So ist das Sprachzentrum bei den meisten Menschen linksseitig organisiert, der prosodische Anteil, also die Sprechmelodie liegt aber contralateral rechts.

„Wie es beim Rechtshänder auf der linken Seite zwei verbale Kommunikationssysteme gibt (Sprache und Schrift), so gibt es, spiegelbildlich dazu auf der rechten Seite betont, zwei nonverbale Kommunikationssysteme, und zwar ein

  • akustisch musisches (Musik) und ein
Myelinisierung:

 

Nervenfasern können von isolierenden Myelinscheiden umgeben sein oder nicht. Sind sie es nicht, leiten sie Aktionspotentiale mit maximal 3 Metern pro Sekunde, also recht langsam…Die Isolierung von Nervenfasern mit Myelin führt zur Zuname der Geschwindigkeit der Nervenleitung auf bis zu 110 Meter pro Sekunde. (Spitzer 2007)

Myelinisierung kennzeichnet Entwicklung:

Neugeborenes: Nur primäre sensorischen und motorische Areale myelinisiert,

danach:

sekundäre Areale,

in der Pubertät erst die Bahnen zum  Frontalhirn.

 

Durch Training kommt es zu neuer  Myelinisierung (ebenda)

  • visuell- musisches (Malerei, Bildhauerei, Architektur)“ (Gschwend, ebenda)

Natürlich ist eine solche Simplifizierung der Organisation von komplexen neuronalen Vorgängen nur ein Hilfsmittel. Tatsächlich kommt die Hirnforschung immer mehr zu dem Schluss, den der aufmerksame, sich selbst und sein Verhalten beobachtende Mensch, lange schon gezogen hatte. Die komplexen Vorgänge beim Sprechen, Lesen und Rechnen sind zwar in bestimmten Populationen von Neuronen lokalisierbar, doch werden immer auch andere Bereiche des Gehirns bei Vorgängen des Lesens, Schreibens oder Sprechens aktiviert. So z.B. beim Lesen auch okkzipitale Regionen, die dem Sehen zugeordnet werden. Entscheidend dürfte also neben der gut automatisierten Zusammenarbeit der Hirnhälften generell die schnelle, also gut automatisierte Verbindung verschiedener Hirnareale sein. Wie aber kommt es zu einer schnelleren Verbindung der Hirnareale? Durch Training. Jede Form der regelmäßigen Aktivierung bestimmter neuronaler Verbindungen führt über eine Myelinsierung zu stabileren und schnelleren Nervenverbindungen. Vielleicht ist eben dieser Prozess das, was wir Automatisierung nennen.

Als Hauptursache von Störungen nennt Gschwend

– organische Schäden, die zumeist schon vor der Geburt entstehen

– Fehlansprechbarkeiten in der Wechselbeziehung zwischen dem Globalsystem und den Teilsystemen (Psychopathien)

– zu viel Bahnung (Erethismus)

– zu viel Hemmung (Autismus)

– ungünstige Umwelteinwirkung (Neurosen und Psychosomatosen)

– schwache Veranlagung und Entwicklungsrückstand

Tatsächlich werden in der Praxis zwei grundlegende Probleme bei betroffenen Kindern eine erste Klassifizierung der Probleme gestatten:

Entweder zu viel Hemmung oder zu viel Aktivierung. Das eine Kind ist hyperkinetisch, hyperton und eventuell hyperaktiv, das andere energiearm, hypoton, langsam und in der Aufmerksamkeit gestört.

 

In jedem Falle ist ein kreuzlaterales Training, wie Dennison es vorschlägt, und wie Warnke es in Gestalt des Lateraltrainers für das auditive System entwickelt hat, fester Bestandteil des Warnke Verfahrens.

In einer Effektivitätsstudie überprüften Klicpera und Gasteiger-Klicpera (1996) ein komplexes Trainingsprogramm, das neben edu-kinestetischen Übungen ein auditives Training und ein Lesetraining beinhaltete. Nach dem Training hatte sich die Lesegeschwindigkeit verbessert. Cammisa überprüfte 1994 den Einfluss von kinesiologischem Training auf Kinder und stellte eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit fest. Khalsa berichtete 1988 über positive Effekte der Lateralitätsbahnung auf die Grobmotorik. Eine Pilotstudie von Donczik (1994) stellte Wirkungen eines Lateralitätstrainings auf die Lernfähigkeit, die kognitive Geschwindigkeit, das Gedächtnis, sowohl das verbal-auditive, als auch das visuelle fest.

Suchodoletz merkt an, dass Kinder, denen der Balken fehlt oder denen er durchtrennt wurde, weder Lese-Rechtschreib-Störungen noch andere Lernstörungen aufwiesen. Dem möchte ich hinzufügen, dass eines der von uns behandelten Kinder eben an einer solchen Anomalie von Geburt an leidet, ohne deshalb im Bereich des Lesens oder Schreibens auffällig zu sein. Das bedeutet aber nur, dass das Gehirn, speziell in jungen Jahren, eine enorme Plastizität besitzt, die es erlaubt, benötigte Funktionen zu verlagern. Entscheidend dürfte die Bahnung sein, die es verschiedenen Hirnarealen erlaubt, schnell zusammen zu arbeiten. Diese aber, und das ist fast schon eine Binsenweisheit, ist durch Training zu beeinflussen, wobei es nicht schaden kann, die normale Reihenfolge der Entwicklungsschritte zu kennen, da Automatisierungen, wie bereits erwähnt, aufeinander aufbauen, was eventuell mit einer bestimmten Richtung der Vernetzung zu tun hat. Wenn bestimmte neuronale Vernetzungen gelegt sind, so dass Routinen abrufbar sind, die quasi reflexhaftes Handeln ermöglichen, wird eventuell auf diesem Netz aufbauend neue Vernetzung betrieben, so dass Grundlagen zu allen höheren Tätigkeiten als manifeste Netzwerke im Gehirn beschrieben werden können. Die Existenz von genialen Wissenschaftlern, deren neuronale Netzwerke teilweise nicht mehr funktionieren, (Steven Hawkins) lässt vermuten, dass das Gesamtsystem flexibler ist, als man erwartet. Trotzdem ist es bei den Kindern, über die wir hier berichten, auffällig, das bestimmte basale Funktionen wie etwa die Blicksteuerung, die Tonusreglation, das Gleichgewicht, das auditive Wahrnehmungssystem usw. nicht wie bei anderen Kindern funktionieren.

Da bestimmte Funktionen wie etwa die Blicksteuerung und die Tonusregulation mit dem vestibulären System zusammenhängen das in dieser Konstellation mit Sicherheit das frühere, also zugrunde liegende System darstellt, ist es nicht weiter verwunderlich, dass fast alle mit Lernstörungen befassten Autoren ein Training der Motorik, mit dem Ziel, basale Wahrnehmungssysteme wie das vestibuläre System zu aktivieren, vorschlagen. In gewisser Hinsicht zählt auch das motorische Lateralitätstraining zu diesen sinnvollen Übungen. Beobachtet wird ja, dass Kinder, die an Lernstörungen leiden, fast immer Probleme haben, kreuzlaterale Übungen durch zu führen. Als Warnke Therapeuten arbeiten wir viel mit dem Wippbrett, bei dem diese Kinder oftmals große Schwierigkeiten beim Stehen auf der Wippe haben, wenn diese eine Ausbalancierung zwischen links und rechts verlangt. Auch werden Probleme beim Malen liegender Achten beobachtet, bei denen der Übergang von der einen steuernden Hemisphäre zur anderen offensichtlich manchen Kindern nicht gelingt. Auch das Malen von Schlaufen, bei dem das Kind mittig vor dem Blatt sitzen bleiben muss, zeigt, dass Schwierigkeiten bei den Übergängen zwischen links und rechts und umgekehrt eher die Regel als die Ausnahme bei von Lernstörungen betroffenen Kindern sind. Warnkes Lateraltraining, aber auch eine Therapie der Restreaktionen oder persistierenden frühkindliche Reflexe, die Winfried Scholz, aber auch Dr. Gündel, der letztere in Anlehnung an Sally Goddard und andere, für das Warnke Verfahren entwickelt haben, sind Bestandteile der Therapie. Ein den Eltern fast immer ausgehändigtes Trainingsprogramm ist das FLEXI Programm von Winfried Scholz, in dem Übungen zur Therapie der gleichen Störungen vorgestellt werden.

Ein Training für lerngestörte Kinder (Lese-Rechtschreibschwäche, Rechenschwäche, Legasthenie) muss immer ein solches motorisches Training enthalten.

Zum psychomotorischen Training schreibt Suchodoletz: „In einer kontrollierten Studie wurde der Effekt des psychomotorischen Trainings auf die Rechtschreibleistung, Motorik, emotionale Stabilität und soziale Integration überprüft…In beiden Therapiegruppen wurde sowohl eine Verbesserung der Rechtschreibleistung als auch der motorischen Fähigkeiten erreicht.“ Er kommt er zu dem Schluss, dass psychomotorische Übungen als Ergänzung zu einem LRS Training sinnvoll sind.

Wir ergänzen: Die Übungen der Greizer Programms zur Integration der persistierenden frühkindlichen Reflexe, das Dr. Gündel et al. entwickelt haben und in ihrem oben erwähnten Buch vorstellen, sollte in einem umfassenden Trainingsprogramm nach Warnke nicht fehlen. Leider ist es für den Therapeuten oftmals nicht leicht, eine Turnhalle anzumieten. Im Normalfall bleibt die Therapie also auf die mehr oder weniger engen Praxisräume beschränkt. SI Therapeuten verfügen in der Regel über Übungsräume und viele Materialien. Der Warnke Therapeut aber muss sich mit Lateral Trainer, Wippbrett, Karussell, Balken, Walze u.ä. begnügen. Eine Beschränkung der räumlichen Möglichkeiten muss aber nicht zu einem Mangel in der Therapie führen. Das Wippbrett Programm und das Flexi Programm von Winfried Scholz ermöglichen die Integration der notwendigen psychomotorischen Übungen in den Rahmen der Warnke-Therapie, wobei Teilbereiche des Trainings an die Eltern zu delegieren sind. Eine tägliche Gymnastik, wie sie  Gündel ergänzend vorschlägt, oder wie sie Scholz als gut häuslich durchführbares Übungsprogramm entwickelt hat, gehört bei uns immer zu den Trainingsvorschlägen, die den Eltern nach der Befund zugehen.

 

 

Visuelle Probleme:

 

Stein/Talcott und Witton führen die LRS zum großen Teil auf visuelle Probleme betroffener Kinder zurück.

 

„Reading problems are a consequence of impairment development of a system of large neurons in the brain (magnocells) that is responsible for timing sensory and motor events, and we will argue that their proper development is essential for reading…this leads to the possibility of a very simple treatment. If an important problem is that the two eyes images tend to cross over each other and thus confuse the child then simple blanking one eye when reading should help.”

 

Die Autoren beschreiben, dass Kindern mit Leseproblemen auf Grund einer anatomischen Besonderheit das geordnete Erkennen von visuellen Eindrücken nicht gelingt, wodurch das Lesen erschwert wird. Durch das Abdecken eines Auges konnte dieses Problem überwunden werden. Professor Fischer von der Universität Freiburg hat die erheblichen Probleme von lese-rechtschreibschwachen Kindern bei der Blicksteuerung festgestellt. Insbesondere sind Probleme bei den Anti Sakkaden zu beobachten, die von der Steuerung des Blicks im Frontalhirn ausgehen. Professor Fischer hat ein Blicksteuerungstrainingsgerät entwickelt, das vom Blicklabor Freiburg an Therapeuten verliehen wird. Das Überprüfen der Blicksteuerung ist auch Bestandteil des Warnke Verfahrens, wobei Warnke aber auch die Probleme der Blicksteuerung als Folge von Automatisierungsdefiziten bezeichnet. In der Praxis haben wir mit der von Warnke entwickelten Lateralbrille getestet, inwieweit die Lesefähigkeit differiert, wenn  ein Auge, wie in den Ausführungen von Stein/Talcott vorgeschlagen wurde, abgedunkelt wird. Tatsächlich waren Effekte erkennbar. Die Autoren machten eine physiologische Besonderheit bei den betreffenden Kindern als Ursache aus, was eine Therapie erschweren würde.

 

Dass visuelle Probleme auch mit persistierenden Reflexen zusammenhängen können, ist wohl erwiesen. So führt der tonische Labyrinthreflex, der normalerweise etwa vier Monate nach der Geburt zurückgebildet wird, bei seinem Fortbestehen zu visuomotorischen Dysfunktionen, die Dr. Gündel als Probleme in der Raumwahrnehmung und Figur-Grundwahrnehmung beschreibt.

Tatsächlich haben Kinder, bei denen in der Befundung ein persistierender TLR festgestellt wurde, fast immer Sehprobleme.

 

„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei einer Persistenz eines TLR Entwicklungsschwierigkeiten in der Gleichgewichtsregulation zu verzeichnen sind (Ayres 1984, Kesper/Hottinger 1994, Goddard 2000) Dies hat wiederum erheblichen Einfluss auf die Propriozeption…Außerdem treten okulomotorische Fehlfunktionen auf, die den Heranwachsenden teilweise enorme Probleme in der Raum-, Zeit- und auch in der Formwahrnehmung bescheren.“ Gündel, Reiter in Neuromotorische Regulationsstörungen im Kindesalter, MediTECH 2007)

 

Ebenso beeinflusst der persistierende ATNR, der Asymmetrische Tonische Nackenreflex, das Sehen, führt er doch zu „visuomotorischen Mängeln beim Verfolgen eines Gegenstandes über die Gesichtsmitte hinaus (Augensprünge).“ (ebenda)

 

Der STNR (Symmetrische Tonische Nackenreflex) vervollständigt die persistierenden Nackenreflexe, die als Ursache von Sehproblemen in Frage kommen könnten. Hierzu heißt es bei Gündel „Ungenaues Fokussieren bei häufig wechselnden Sehentfernungen.“ (ebenda)

 

Wie bereits erwähnt lassen sich aber nicht alle visuellen Probleme bei von Lernstörungen betroffenen Kindern auf vordergründige motorische Probleme zurückführen. Stein, Talcott und Witton beschreiben, dass Kindern mit Leseproblemen auf Grund einer anatomischen Besonderheit das gesteuerte Erkennen von visuellen Eindrücken nicht gelingt, wodurch ihnen das Lesen erschwert wird.

„Using these random dot kinematograms we have shown that two thirds of dyslexics have higher than normal threshold for perceiving coherent motion- they have reduced magnocellular sensitivity (Cornelissen et al.1994; Talcott et al. 1998, 2000a,b)

 

Zur Abgrenzung von phonologischen Ursachen für LRS erklären sie (ebenda):

 

“Visual motion sensitivity correlates highest of all with this
orthographic task and with spelling ability. In fact we have shown that visual motion sensitivity can by itself account for over a fifth of the variance in children’s literary skill. Furthermore after statistically controlling for covariance between orthographic and phonological skill, we found that visual motion sensitivity continued to account for unique variance in orthographic skill that phonological ability could not account for. In other words these results provide strong evidence that visual motion sensitivity plays an important role in determining how well children can develop the visual skills required for reading”

 

Das magnozellulare System sorgt nach Meinung der Autoren gewöhnlich für eine Unterdrückung unwillkürlicher Augenbewegungen.

 

„In dyslexics this wobble during attempts to fixate is much more marked (Eden et al. 1994)

 

Die Fixationsprobleme, die ausgelöst werden von Schwächen der magnozellularen Systems, gelten den Autoren als bedeutende Ursache für Leseprobleme. Zwischen den Sakkaden fixieren sich die Augen immer wieder auf das zu lesende Wort. Das die Augenbewegungen unterdrückende, Bewegungssignal der Retina, das über das magnozellulare System läuft, fehlt, und es  kommt  zu unerwünschten Augenbewegungen. Das Kind hat das Gefühl, die Buchstaben „wandern“. Eine gute Rückmeldung über Augenbewegungen würde diesen Effekt verhindern.

Die Arbeitsgruppe um Professor Fischer bestätigt diese Ausführungen. Sie fand Häufungen unwillkürlicher Augenbewegungen (Ausführung von Anti Sakkaden) die bei 20-50% aller LRS Kinder beobachtet wurden.

Als Ursachen für Störungen in der Blicksteuerung werden von Professor Fischer et al. (1998) Dysfunktionen des Stirnhirns angenommen, von Nicholson et al. (1999) Defizite der Kleinhirnfunktion.

Trainiert wird die Blickmotorik durch Computerprogramme (bei uns durch den Blicksteuerungstrainer der Medienwerkstatt Mühlacker)

Nach dem Training zeigten LRS-Kinder in Studien (Fischer, Hartnegg, 2000) etwa die gleichen Leistungen wie unauffällige Kinder.

Fischer (2001) und Wert (2001) berichten über Therapieerfolge bei zwanzig Kindern. Bei fast jedem zweiten Kind wurde innerhalb einer halben Stunde durch Training der Blicksteuerung eine erhebliche Verbesserung der Leseleistung erreicht.

Das Computerprogramm Audilex der finnischen Forschergruppe um Professor Kujala, das zum Preis von ca. 50 € im Internet angeboten wird, trainiert eine Kombination von Blicksteuerungs- und phonologischen Aufgaben. In der Praxis hat sich dieses Programm als Ergänzung und Abwechslung zum Low-Level-Training gut bewährt.

Da das Blicksteuerungstraining zu Erfolgen führt, scheinen die beobachteten Besonderheiten im magnozellularen System nicht unbeeinflussbar zu sein.

 

Die Winkelfehlsichtigkeit oder das latente Schielen werden ebenfalls als Mitursachen der LRS diskutiert. Dabei werden als Ursache der Instabilität der binokularen Fusion ebenfalls Defizite im magnozellularen visuellen System angenommen (Stein et al. 2000), Suchodoletz 1999)

 

Wenn die Sehachsen geringfügig voneinander abweichen, wird durch eine Veränderung der Spannung der Augenmuskulatur die Fehlstellung automatisch korrigiert, sobald beide Augen ein Objekt gemeinsam fixieren.

 

„Seltener wird die Korrektur nicht durch einen Ausgleich über eine Veränderung der Anspannung der Augenmuskulatur vorgenommen, sondern durch eine Verschmelzung der unterschiedlichen Seheindrücke zu einem Bild durch visuelle Verarbeitungsprozesse im Gehirn.“ (Suchodoletz, Ratgeber LRS, 2003)

 

„Nach Auffassung der Befürworter eines Trainings des beidäugigen Sehens zur Behandlung einer LRS geht eine motorische Fusion mit verstärkter Anstrengung einher und führe zu schneller Ermüdung beim Lesen, zu Augenreiben und Kopfschmerzen. Die Anstrengung sei den Kindern anzumerken, da sie beim Lesen die Augen reiben, blinzeln, die Stirn runzeln, helles Licht vermeiden und feinmotorischen Anforderungen (Schreiben, Basteln, Malen) aus dem Weg gehen. Die Korrektur eines latenten Schielens durch sensorische Fusion führe zu einer subjektiven Sehunruhe…zu Doppelbildern, Problemen beim räumliche Sehen…Kinder lesen nur mühsam, verlieren schnell die Zeile…gehen sehr nah an den Lesetext heran, halten den Kopf schief, können keinen Ball fangen usw.“ (Suchodoletz, ebenda)

 

Im erweiterten Prüfablauf testen Warnke Therapeuten ob ein Verdacht einer solchen Störung vorliegt. Bei einem Verdacht werden die Kinder zu einem geeigneten Augenoptiker oder zu einem Augenarzt, der die Korrektur der Winkelfehlsichtigkeit nicht per se ablehnt, überwiesen.

Tatsächlich gibt es Berichte über gute Erfolge nach der Korrektur durch eine so genannte Prismenbrille.

 

Suchodoletz merkt an, dass die Korrektur der Winkelfehlsichtigkeit durch eine Prismenbrille eventuell nicht unproblematisch ist: „Bei einer Winkelfehlsichtigkeit besteht nach Prismenbrillenverordnung die Gefahr, dass das Gehirn den alten Fehlwinkel, an den es sich gewöhnt hatte, wieder einstellt. Dadurch nimmt der Schielwinkel im Laufe der Zeit zu und die Prismenstärke muss ständig nach oben korrigiert werden (Schäfer 1998) …der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands warnt deshalb nachdrücklich vor einer Prismenbrilleverordnung zur Behandlung einer Lese-Rechtschreib-Störung.“

Wir merken an, dass uns nicht ganz wohl war, bei den drastischen Maßnahmen zur Korrektur der Winkelfehlsichtigkeit, bis hin zu Operationen, die von der Therapeutin, zu der wir die Kinder anfänglich zur Abklärung überwiesen (Augenoptikerin), in Einzelfällen eingeleitet wurden. Insbesondere der Fall eines Klienten, der recht gut lesen und schreiben konnte, dessen Mutter aber eine Überprüfung des Sehwinkels wünschte, woraufhin eine so stark ausgeprägte Winkelfehlsichtigkeit diagnostiziert wurde, dass der 14- jährige Junge operiert wurde, obwohl keine eindeutigen Symptome bestanden hatten, bereitete Unbehagen. Dieser Einzelfall beeinflusste mich dahin, dass ich zur Abklärung eine Augenärztin suchte, die meines Erachtens recht differenziert mit der Thematik umgeht. Die operative Korrektur verlief aber unproblematisch und mein Klient steht heute vor dem Realschulabschluss. Es ist mir auch kein konkreter Fall bekannt, in dem eine Prismenbrille zu Schäden geführt hätte. Manche Kinder berichten über Verbesserungen für Ihre Lebensqualität durch die Prismenbrille. Andere ziehen die Brille erst gar nicht an, weil das Tragen ihnen unangenehm ist, oder weil sie keine Verbesserung bemerken. In diesem Bereich kann der Warnke Therapeut nur beratend tätig sein. Unsere Aufgabe ist es, bei den Kindern, die unter Lernstörungen leiden, fehlende Automatisierungen aufbauen. Sobald die beobachteten Probleme in einem Fachgebiet liegen, in dem andere Therapeuten zu Hause sind, sollten wir uns nicht scheuen, zu delegieren. So ist es allgemein üblich unter Therapeuten und zu der Ausgestaltung des Warnke Verfahrens als ganz eigene Therapieform gehört die deutliche Abgrenzung gegen andere Therapieformen, die ihre ganz eigene Störungsproblematik mit ihren Methoden bearbeiten und in deren Kompetenzen wir nicht hineinregieren können und wollen.

„Bei der zentralen Fehlhörigkeit handelt es sich um eine Hörstörung, die durch Funktionsstörungen der zentralen Hörbahn und der primären Hirnrinde verursacht wird. Die Betroffenen fallen bei den üblichen Hörtests nicht auf, da die Form der Hörstörung nicht mit einem Hörverlust einhergeht, sondern die Hörqualität beeintrrächtigt. Eine erhebliche Empfindlichkeit gegenüber Störgeräuschen, eine Erhöhung der Unterschiedlichkeitsschwellen hinsichtlich des Schallpegels und der Tonhöhe, eine gestörte zeitliche Verarbeitungskapazität des Gehörs und eingeschränktes Richtungshören sind Symptome einer zentralen Fehlhörigkeit. Je nach Schwere können bei Kindern ein geringes Zuhörvermögen, Sprachverständnisschwierigkeiten und Schwächen beim Differenzieren von Lauten oder andere Formen von auditiven Wahrnehmungsstörungen verursacht werden. Oft gehen bei Kindern mit schwerer zentraler Fehlhörigkeit Entwicklungsstörungen der Laut- und Schriftsprache einher“

(Wurm-Dinse Krankenhaus Geresheim, Düsseldorf, in Kinder-Jugendpsychatrie 1995)

 

Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass auch die oftmals unterschätzten Mittelohrentzündungen zu visuellen Problemen führen können. Wir beziehen uns auf einen Artikel von Andreas Fischer in Ergotherapie, Zeitschrift für angewandte Wissenschaft (2000)

„Schon in der Gruppe der Kinder mit mindestens einem leichten Verlauf (einer Mittelohrentzündung) stieg der Mittelwert der Scores der Augenverfolgungsbewegung auf 6 an (hohe Scores = viel Auffälligkeiten, qualitativ schlechtere Bewegung)“

Dass die Mittelohrentzündungen auch zu Problemen der auditiven Wahrnehmung führen und das Entstehen einer zentrale auditiven Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstörung (zentrale Fehlhörigkeit) begünstigen, ist für Warnke Therapeuten selbstverständlich und soll hier, der Vollständigkeit halber, nur kurz erwähnt werden.

 

„KiSS ist die Abkürzung für Kopfgelenk – induzierte Symmetrie – Störung. Dabei handelt es sich um eine Fehlstellung der oberen Halswirbelsäule (HWS) Die Fehlstellung wird meistens durch Druck auf den Kopf des Babys bei der Geburt ausgelöst, häufig bei Kaiserschnitten, Mehrlingsgeburten, Zangengeburten sowie beim Einsatz der Saugglocke.

Ein unerkanntes KiSSsyndrom kann im Schulalter zu Kopfschmerzen, Müdigkeit, schlechten schulischen Leistungen, Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität führen.  Verursacht werden die Folgen durch persistierende frühkindliche Reflexe, die durch KiSS ausgelöst werden.

Symptome:

– Kind schreit

Schiefhaltung des Kopfes

– Einseitige Schlafposition

– Asymmetrien des Gesichts oder Hinterkopfs

– Asymmetrie der Lidabstände beider Augen

– Kind hat Probleme den Kopf selbst zu halten.

– Auffälligkeiten beim Stillen

– Neigung zur Überstreckung

– Schluckbeschwerden

– Häufiges Spucken, Erbrechen

– Schlafstörungen

– Kein Krabbeln

– Frühes Laufen lernen

– Hohe Berührungsempfindlichkeit im Nacken

– Asymmetrische Bewegung der Arme und Beine

– Tonusregulationsstörung der Extremitäten und des Rumpfes

– Hüftgelenke mit Unreife

– Fehlstellung der  Füße.“

 

Das KiSS Syndrom wird wie die Winkelfehlsichtigkeit als Verdachtsbefund ausgesprochen und an Fachärzte delegiert. In Köln ist Frau Dr. Iliaeva unsere Ansprechpartnerin.

 

Die ganze Bandbreite der motorischen Auffälligkeiten und Probleme, die zur Ausbildung von Lernstörungen führen, kann hier nicht mehr im Einzelnen aufgeführt werden. Es seien die Bücher von Ayres, Goddard, Kespers und Gündel angeführt, die hierzu die notwendigen Informationen bieten.

 

Dazu Gschwend (2000)

„Die Körpermotorik steuert die Bewegung des Körpers im Raum. …Über die Reflexmotorik entwickelte sich die Extrapyramidalmotorik mit Kleinhirnmodifikation und schließlich die dreiteilige kortikale Sensomotorik mit der Pyramidenbahn. Das Auftreten und Wieder – Verschwinden motorischer Möglichkeiten bilden Zeitmarken der Entwicklung. Die Störungen wiederum sind für die einzelnen Systeme charakteristisch und wirken sich bei der Entwicklung für die nächsthöhere Stufe negativ aus.“

 

„Zwischen dem motorischen Cortex im Gehirn und dem Bereich für formales Denken im Stirnlappen bestehen neurale Verbindungen. Das deutet abermals auf die Bedeutung von Bewegung bei Denkprozessen hin….Immer wenn wir gezielte Bewegungen ausführen, wird das Gehirn aktiviert und Lernen fällt leichter…Das heißt, Lernen muss mit allen Sinnen geschehen.“ (Dorothea Beigel in  „Flügel und Wurzeln“ 2003)

 

„Lernen ist an motorische Funktionen gebunden, wobei in diesem Prozess umweltbedingte Informationen aufgenommen und im Zentralen-Nerven-System (ZNS) verarbeitet werden. Man bezeichnet diesen Prozess als einen sensomotorischen Vorgang, in dem Informationen, Eindrücke und Erlebnisse als erfahrungsbedingte, individuelle Gedächtnisinhalte gespeichert werden. Gleichzeitig stehen diese Lernprozesse im unmittelbaren Kontext mit den entsprechenden kulturellen bzw. psychosozialen Faktoren, in die die kindliche Entwicklung eingebettet ist. Die quantitative und qualitative sensomotorische Reifung ist in den ersten Lebensjahren am intensivsten. Sie bildet den Grundstein für das weitere (auch akademische) Lernen. (Neuromotorische Regulationsstörungen im Kindesalter, Gündel/Reiter, 2007)

 

„Bei stark automatisierten Handlungen…sind die BG (Basalganglien) besonders aktiv; sie überwachen die korrekte Auswahl der für die erfolgreiche Bewegung notwendigen Parameter…Besonders gilt dies für die…Gesichts- und Mundmotorik und – über eine besondere Schleife verschaltet – für die Blickmotorik.

Durch die Verbindungen zwischen den Assoziationsfeldern und dem Nucleus Kaudatus…sind die Basalganglien beteiligt an der Kontrolle der Motivation, der Wahl von Strategien und an kognitiven Leistungen.“ (Neurogene Entwicklungsstörungen, Leander Pflüger, 1991)

 

Selbstverständlich darf in einem Automatisierungstraining nach Warnke der motorische Bereich nicht zu kurz kommen. Wie bereits erwähnt und angeführt haben wir speziell in diesem Bereich innerhalb des Warnke Verfahrens hervorragende Lehrkräfte zur Verfügung, deren Wissen im Rahmen der Ausbildung zum Zertifizierten Lerntrainer vermittelt wird.

 

Teilelement der Therapie sind aber auch Bestandteile des NLP,

(Neurolinguistisches Programmieren). Dazu Suchodoletz in seinem Ratgeber LRS (2003):

„ Neurolinguistisches Programmieren in der LRS Therapie ist eine Mischung aus psychotherapeutischen Ansätzen und Vermittlung von Lernstrategien. Die psychotherapeutischen Anteile haben das Ziel, Selbstsicherheit beim Schreiben zu vermitteln und das Kind zu befähigen, Schreibfehler ohne Abwertung der eigenen Persönlichkeit zu verarbeiten. Die Lernstrategien sind recht einseitig ausgerichtet…Sie beruhen auf dem Einprägen von Wortbildern als Ganzes unter Vermeidung der Lautanalyse. Im Gegensatz zum Englischen werden im Deutschen viele Wörter, zumindest in Teilen, lautgetreu geschrieben. (- etwas mehr als die Hälfte! –)…auditive Strategien und orthografische Regeln werden kaum als Hilfe eingesetzt…NLP kann zur Behandlung nicht empfohlen werden.“

 

Es ist hier in Kürze gesagt, was das NLP zur Behandlung von LRS Kindern an Methodik liefert. Ich möchte nicht mehr auf die Kritik von Waldemar von Suchodoletz eingehen, die nach dem, was wir jetzt wissen, nur noch als ignorant beschrieben werden kann. Dass ein Regeltraining wesentlich angreifbarer ist, als ein „alternatives“ umfassendes Automatisierungstraining wie es Warnke vorschlägt, will ich hier nicht mehr begründen. Innerhalb des Warnke Verfahrens hat die Methode des Visualisierens von Wörtern ihren angemessenen Platz. Durch Automatisierungsdefizite im Bereich des Hörens gelingt den betroffenen Kindern die Zuordnung von Graphem und Phonem nicht. Es kommt zur Auswahl einer anderen Lesestrategie (Auslassen des phonematischen Lesens). Dadurch wird das Entstehen eines inneren Lexikons der Wortbilder erschwert. Durch Verweis auf die dem Kind kaum mögliche Lautanalyse zur Anwendung der vermittelten Regeln wird das durch mangelhafte Automatisierung sowieso schon stark verlangsamt arbeitende Kind zu einer ihm nicht möglichen Strategie verleitet, die ihm die Aufgabe zusätzlich erschwert. Deshalb dauern die konventionellen Therapien so lange und deshalb kommen immer mehr Eltern zu uns.

Wir bauen die basalen Fähigkeiten des Kindes im Bereich des Sehens, des Hörens und der Motorik auf und gleichen den Mangel an inneren abrufbaren Wortbildern aus, indem wir, ganz mit den NLP Therapeuten einverstanden, deren Visualisierungsstrategien als letztes Teilelement einer umfassenden Therapie aller betroffenen Bereiche einfügen.

 

Abschließend kommen wir auf Warnkes Theorie zurück, dass ein allgemeines Automatisierungsdefizit den Lernproblemen mancher Kinder zugrunde liegt, das durch ein geeignetes Training überwunden werden kann, und wir werden, nach der Fülle der erwähnten Erkenntnisse, zugeben müssen, dass ein solches Training in jedem Fall Sinn macht und wir werden aus der Erfahrung berichten, dass das Automatisierungstraining als geeignete Therapie genutzt werden kann.

 

Das Verfahren kann nur in der Summe der durchgeführten Schritte beurteilt werden.

Alle Therapiemaßnahmen gelten den im erweiterten Prüfablauf, dem  speziell für das Warnke Verfahren entwickelten Test von Automatisierungen des Sehens, Hörens und der Motorik, entdeckten Defiziten eines Kindes.

Das speziell auf das Kind abgestimmte Trainingsprogramm führt in der Regel zu einer deutlichen Verbesserung der Probleme des Lesens, Schreibens und Rechnens.

Das Verfahren ist somit den konventionellen Fördermethoden, die allein die Symptome der Lese-Rechtschreibprobleme oder Rechenprobleme behandeln weit überlegen.

Es handelt sich um eine medizinisch, physiologisches Therapie, die eine Lücke füllt, die Logopädie und Ergotherapie nicht ausfüllen.

 

LENS Verfahren:

Von Lens Ochs entwickeltes Verfahren, das die Möglichkeiten des Neurofeedback erweitert. Die gemessenen Gehirnströme werden dem Klienten in Form von Licht und Tonsignalen zurückgekoppelt. Der Effekt einer solchen Therapie wird als sehr überzeugend dargestellt.

Die Hinzunahme eines speziellen Ausbildungsganges für Lerntrainer nach Warnke wird diesem Umstand gerecht.

Dass das Verfahren sich noch weiter entwickeln muss und dass die Dynamik und Wachheit aller beteiligten Menschen erhalten bleiben müssen, ist selbstverständlich. Es wird weitere Ergänzungen geben. Insbesondere durch das Neurofeedback wird deutlich, was das Verfahren wirklich ist, denn alle therapierten Probleme sind

letztendlich Probleme der Reizverarbeitung.

Die Zukunft wird aber zeigen, dass das isolierte Angehen physiologischer Auffälligkeiten zu einem Ende kommt. Die Manifestation und Einbettung aller physiologischen Reaktionen im Gehirn ist eine Binsenweisheit, doch im Zuge der neueren Erkenntnisse der Gehirnforschung, die durch erweiterte technische Möglichkeiten immer weiter verfeinert werden, werden Therapien möglich, die direkt mit dem Gehirn arbeiten.

Wer nicht bereit ist, auf diesem Wege mit zu gehen, wird bald schon im Abseits stehen.

 

Biofeedback bzw. Neurofeedback

 

Suchodoletz schreibt:

 

„Biofeedback ist ein Verfahren, bei dem unbewusst gesteuerte, physiologische Funktionen gemessen und die Ergebnisse an die Versuchsperson zurückgemeldet werden…Beim Neurofeedback ist die bioelektrische Aktivität des Gehirns die gemessene und rückgemeldete Variable…Bei der Anwendung des Neurofeedbacks  im Kindesalter wird davon ausgegangen, dass Lernprobleme Ausdruck gestörter Erregungszustände des Gehirns sind. Durch ein Sichtbarmachen des eigenen Aktivitätsniveaus soll das Kind in die Lage versetzt werden, sein Gehirn in einem optimalen Erregungszustand zu stabilisieren und ein Abkippen in Unter- oder Übererregung zu verhindern. Dies wirke sich auf alle stressbedingten Leistungsbeeinträchtigungen positiv aus.“

(Birbaumer, Rockstroh, 1985)

„Als Indikation für ein Neuro-Feedback werden ganz unterschiedliche Störungsbilder wie Nervosität, Ängste, psychosomatische Beschwerden, Schmerz, depressive Verstimmungen, Epilepsie, Sucht- und Schlafstörungen angegeben…Der Einsatz bei LRS Kindern geht davon aus, dass ängstliche Verspannungen und Lernblockaden bei schriftsprachlichen Anforderungen den Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb zugrunde liegen. Durch Neuro-Feedback soll das Kind sich in ein Aktivitätsniveau versetzen, das optimale Lern- und Gedächtnisleistungen ermöglicht.

Nach einem anderen Erklärungsansatz beruht die positive Wirkung des Neuro-Feedbacks im Rahmen der LRS Therapie darauf, dass die Veränderungen der Großhirnaktivität durch das Training sich auf basale Hirnstammfunktionen auswirken und dadurch die sensorische Integration verbessern.“ (ebenda)

In der Studie von Thomas Fuchs (Dissertation: Aufmerksamkeit und Neurofeedback) wurden signifikante Verbesserungen von IQ, Konzentration, Arbeitsgeschwindigkeit und Verhaltenssteuerung nachgewiesen. Die Studie vergleicht die Wirkung von Ritalin mit der Wirkung von Neurofeedback auf ADS/ADHS Symptome und kommt zu für das Neuro-Feedback äußerst positiven Ergebnissen, die dem Neuro-Feedback in etwa die gleiche Effektivität wie dem Ritalin zusprechen. Eine ähnliche Studie von Monastra ergab, dass ein Neuro-Feedback-Training das ergänzend zu einer Ritalin Therapie durchgeführt wurde, die positive Wirkung des Ritalin über die Dauer der Einnahme hinaus konservierte. Damit war erstmals die Wirksamkeit von Neuro-Feedback zur Therapie von ADS/ADHS nachgewiesen.

Suchodoletz sagt. „Ein hinreichender Beleg für die Effektivität wurde bisher jedoch nicht erbracht, sodass aussagefähige Untersuchungen abgewartet werden sollten, bevor ein Einsatz in der Praxis empfohlen wird.“ (Ratgeber LRS, Suchodoletz 2003)

Dem können wir uns wiederum nicht anschließen. Die bisher vorgelegten Studien sind hinreichend dokumentiert.

„Wie Monastra (2005) in seinem Überblicksartikel zum EEG-Feedback bei ADHS zusammenfasst, unterstützen die Forschungsergebnisse überwiegend ein Modell, wonach ADHS eine genetische Komponente aufweist: In zahlreichen Studien wurden neuroanatomische, neurochemische,   und neurophysiologische Auffälligkeiten des Gehirns beschrieben. Neuroanatomisch wurde gezeigt, dass verschiedene Strukturen  des Gehirns (Frontallappen, Corpus callosum, Cerebellum) bei Personen mit ADHS kleiner sind (Giedd et al. 2001). Abweichungen im dopaminergen, aber auch noradrenergen und serotonergen Neurotransmittersystem sollen die unzureichende Aktivierung jener Kortexareale erklären, die für Aufmerksamkeit, Planung und Steuerung von Verhalten sowie die Kontrolle der Motorik zuständig sind (Newcorn et al. 2000) Schließlich stützt eine Vielzahl neurophysiologischer Befunde (vgl. Holtmann et al. 2004) die Annahme, dass die Symptome auf einer mangelnden Erregbarkeit (von Teilen) des Gehirns beruhen.“ (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung von Ute Strehl, Ulrike Leins und Hartmut Heinrich in Biofeedback, Schattauer Verlag 2006)

„In der ersten Studie, die Neurofeedback in ein komplexes Therapieprogramm integrierte, fanden Monastra et al. (2002), dass nach einem komplexen Therapieprogramm die Verbesserungen in der kortikalen Aktivierung, im Verhalten und in der Aufmerksamkeit nach Absetzung der Medikamente nur in der Gruppe fortbestanden, die das Neuro-Feedback erhalten hatten.“ (ebenda)

 

Die „Zertifizierten Lerntrainer nach Warnke“ werden also auch im Bereich Neurofeedback, Biofeedback ausgebildet, denn ein Großteil der zu uns kommenden Klienten leidet an Aufmerksamkeitsstörungen. Nun ist das komplexe Trainingsprogramm nach Warnke allein schon dadurch, dass es Automatisierungsdefizite aufarbeitet, die dazu führen, dass das Kind untergeordneten Funktionen Aufmerksamkeit schenken muss, die noch nicht automatisiert sind, und deshalb verlangsamt und unaufmerksam wirkt, besonders geeignet, scheinbare Aufmerksamkeitsdefizite zu überwinden, aber die Möglichkeit zu haben, auch Biofeedback oder Neurofeedback anzubieten, ist eine große Bereicherung für die Therapie.

HEG

Bei der Nahinfrarotspektroskopie (NIRS), auch als HEG bezeichnet, werden Änderungen der o2Hb- und HHb- Konzentration mittels Licht definierter Wellenlängen gemessen.

Bei einem HEG-Neurofeedback-Training sollen Kinder mit ADHS erlernen, ihre frontale Aktivierung zu steigern.

Insbesondere das HEG (Hämoenzephalographie – Neurofeedback), das sehr leicht anwendbar ist, führte in der Praxis zu großen Erfolgen.

„Eine erste Einzelfallstudie wurde hierzu von Mize (2004) veröffentlicht. Nach zehn Sitzungen Feedback-Training wurden Verbesserungen im EEG und in einem Aufmerksamkeitstest beobachtet.“ (Strehl, Leins, Heinrich in Biofeedback, Schattauer Verlag 2000)

Neurofeedback wurde von uns inzwischen in mehr als 300 Fällen angewendet. Anfänglich kombinierten wir Neurofeedback mit dem Warnke Verfahren oder schlossen an das Warnke Training eine halbe Stunde Neurofeedback an. Das hat sich nicht bewährt. Für Kinder mit den beschriebenen Automatisierungsdefiziten im Bereich des Hörens, des Sehens oder der Motorik ist das Warnke Verfahren unverzichtbar. Erst wenn die Grundlagen gelegt sind, ist Neurofeedback erfolgreich. Die Grundlagen sind: gute Low-Level Werte, ein intensives Lesetraining der Silben und Quatschwörtertexte, Lesetraining nach Warnke mittels Lateral Trainer und Orthofix Training zur Visualisierung von Wörtern. Neurofeedback kann und sollte eingesetzt werden bei Verhaltensauffälligkeiten (ADS, ADHS, Autismus etc.) Wenn Lernprobleme nicht im Vordergrund stehen, ist Neurofeedback sehr sinnvoll. Die Möglichkeiten des Neurofeedback können eigentlich erst endgültig ausgereizt werden, wenn ein QEEG und eine Auswertungssoftware wie Neuroguide zur Verfügung stehen, so dass man ein individuelles Trainingskonzept erstellen kann. Leider ist diese Technik sehr teuer. Einen anderen Weg beschreiten die berühmten Thompsons, die nach eigener Aussage kein Assessment brauchen, sondern nur ein ein Kanal Training an CZ machen, wobei das Training eine Mischung aus Coaching und Neurofeedback ist. Alle 2 Minuten wird dem Probanden der momentane Erfolg des Trainings durch eine Grafik gezeigt. Das Training besteht auch aus der Vermittlung von Lerntechniken. Da die Thompsons sehr erfolgreich das ADD Center of Toronto betreiben, ist dieser Ansatz wohl viel versprechend, weil er eine Kombination aus Hirntraining und Verhaltenstraining bietet. Wenn die Veränderung des EEG Ziel sein soll, bietet sich eventuell ein so genanntes Z Score Training an, bei dem das EEG automatisch in Richtung statistisch ermittelter Normwerte trainiert wird.

Es sind also zwei Tendenzen zu beobachten. Die eine nimmt das EEG Training sehr ernst und eliminiert individuelle Einflüsse aus dem Training. Anhand einer Diagnostik wird die Abweichung bestimmter Gehirnregionen von Normwerten erkannt und mit den Symptomen in Verbindung gebracht und dann wird diese Auffälligkeit im EEG trainiert.

Der Ansatz von Thompson sieht anders aus. Das EEG wird an einem Ableitungspunkt gemessen. Die Abweichung in einer bestimmten Frequenz wird in Teamwork mit dem Probanden mit einem bestimmten mentalen Zustand des Klienten in Verbindung gebracht. Dann wird gesehen, ob und wie er diese Frequenz beeinflussen kann. Ansonsten wird dem Klienten eine Herangehensweise an Texte oder Aufgaben beigebracht.

Wenn sich Neurotherapie ernst nimmt, dann wird sie wohl den ersten Weg weiter verfolgen. Jury Kropotov, ein russischer Neurowissenschaftler, hat die Wirksamkeit der Neurotherapie in seinem Buch bestätigt. Unzählige Studien zum Neurofeedback sehen es auch so.

In unserer Praxis ist Neurofeedback nicht mehr wegzudenken, weil es da hilft, wo andere Möglichkeiten versagen. Es besteht aber auch die Gefahr, die Möglichkeiten zu überschätzen. Ich denke, wir werden den Weg zur Neurotherapie weiter beschreiten, dabei aber das gute und handfeste Warnke Verfahren als Grundlage nehmen.

Damit kommen wir, was die Grundlagen des Verfahrens angeht, zu einem Ende. Wir haben die Kritiker ausgiebig zu Wort kommen lassen, können Ihnen aber keinesfalls zustimmen.

Die beschriebene Ätiologie der Störungen legt ein Automatisierungstraining, wie es die Firma MediTECH entwickelte, nahe. Die Auswahl der Trainingsschritte ist gut begründet, die Maßnahmen fußen aufeinander. Das Störungsbild ist allgemein bekannt und wird im Zusammenhang mit Lernstörungen immer wieder beschrieben.

Es wäre fahrlässig, die Ursachen nicht zu therapieren. Geeignete Therapeuten und Therapien gab es bislang noch nicht. Der „Zertifizierte Lerntrainer nach Warnke“ verfügt nach Ausbildung und Ausstattung über alle Möglichkeiten, den betroffenen Kindern zu helfen, ihre Lernprobleme nachhaltig zu überwinden.

Eine konventionelle LRS Therapie bleibt weit hinter dem Stand des Wissens zurück und deren Befürworter schließen die Augen vor den massiven Automatisierungsproblemen, die diese Kinder haben. Sie ist mit ihrer Methodik in keinerlei Hinsicht geeignet, den Schwierigkeiten zu begegnen und ist nicht mehr zeitgemäß.

Im weiteren Verlauf des Buches werden wir die Befundung, die Ausbildung der „Zertifizierten Lerntrainer nach Warnke“, die technischen Möglichkeiten des Verfahrens und mögliche Therapieverläufe anhand mehrerer Beispiele vorstellen.